Familientreffen

Wohin man auch blickte, überall sah man Baumwollfelder, die bis zum Horizont reichten, so hatte sie zumindest den Eindruck. Auch hier das gleiche Bild. Schwarze, die dabei waren die Wolle zu pflücken und sie in große Säcke zu stopfen. Durch die Reihen ritten die Aufpasser mit der Peitsche in der Hand. In ihr stieg der Groll auf und sie hoffte, dass Jane nicht auch so war wie diese Typen, denen sie bereits begegnet war. Sie würde sich schwer tun mit dem klarzukommen, das stellte sie schon nach kurzer Zeit fest. Was sie ein wenig fröhlicher stimmte, waren die Lieder, die die Sklaven dabei sangen. Jeremy, der während der Fahrt noch kein Wort gesprochen hatte, stimmte auf dem Kutschbock mit in eines der Lieder ein.

 

Endlich nahmen selbst die Baumwollfelder mal ein Ende und die ersten Häuser wurden sichtbar, große weiße Herrenhäuser mit den typischen Säulen vor dem Eingang. Lange Alleen führten zu ihnen. Wer hier wohl leben mag, dachte Miss Holmes. Dann bog auch Jeremy in eine dieser Alleen ein. Pappeln ragten links und rechts hoch in den Himmel und spendeten Schatten gegen die Mittagshitze, die allen schwer zu schaffen machte. Da nutze auch der Fächer nichts mit denen sie sich Luft zu fächerte. Frank war wieder bei seiner Lieblingsbeschäftigung, dem Schlafen. Jenny grinste und dann endlich erschien es, das Haus in dem ihre Schwester Jane, ihr Mann David sowie Tochter Avery lebten. Jenny staunte nicht schlecht. Das Haus war prächtig und unterschied sich kaum von denen, die sie auf der Reise hierher gesehen hatte. Vor dem Eingang standen sie und winkten als sie die Kutsche kommen sahen. Jenny stieß ihren Ellenbogen in Franks Seite ,der sofort hellwach wurde.

„Aufwachen, du Schlafmütze!", lachte sie, „Wir sind endlich am Ziel."

 

 Jenny war schwer beeindruckt, als die Kutsche vor dem Haus hielt. So imposant hatte sie es sich nicht vorgestellt. Avery hielt nichts mehr. Mit einem freudigen Schrei riss sie ihre Arme hoch und rannte die Treppe hinunter um ihre Tante zu begrüßen, die sie nun endlich zu sehen bekam.

„Tante Jenny!", rief sie laut und riss sie beinahe zu Boden, so stürmisch war ihre Begrüßung.

Frank der direkt dahinter stand schaffte es noch soeben beide aufzufangen. Jane bestrafte Avery mit einem strengen Blick und den Worten, sie möge sich doch ein wenig zusammenreißen. Doch Jenny lachte nur und drückte ihre Schwester erstmal ganz feste, die sie etliche Jahre nicht gesehen hatte. Dann war ihr Mann David an der Reihe. Auch ihn hatte sie seit der Hochzeit mit ihrer Schwester nicht mehr gesehen.

„Möchtest Du uns nicht Deinen Begleiter vorstellen?", sagte David.

Jenny wurde verlegen hatte, sie ihn doch beinahe vergessen. Doch er nahm es mit Gelassenheit und grinste breit übers ganze Gesicht. Nachdem sie die Neugierde ihrer Verwandtschaft gestillt hatte, bat Jane ihre Schwester und Frank ins Haus. Um das Gepäck kümmerten sich ihre Bediensteten.

 

Jane begleitete Jenny zu ihrem Zimmer, in dem sie die nächsten Monate leben würde. Alles war stilvoll eingerichtet, so dass es ihr an nichts fehlen sollte. Jenny Holmes war sich recht sicher, dass sie sich hier schnell heimisch fühlen würde. Auch Frank bekam ein Zimmer zugewiesen, auch wenn man nicht mit ihm gerechnet hatte. Doch das Haus war so groß, dass dies überhaupt gar kein Problem darstellte.

„Packe in Ruhe aus, mach Dich frisch und dann kommst Du runter zum Abendessen.", sagte Jane und verschwand wieder nach unten.

Jenny warf einen Blick aus dem Fenster und genoss die Aussicht auf die herrliche Allee von Pappeln, durch die sie gekommen waren. Sie konnte sich gut vorstellen hier für immer zu leben, doch davon würde sie ihrer Schwester erst später erzählen.

 

Als Jenny und Frank zum Abendessen kamen, saßen schon alle an dem prächtig geschmückten Tisch. Ein riesiger Kronleuchter hing von der Decke, auf dem Tisch standen herrliche Blumenbouquets mit den schönsten buntesten Blumen, die Jenny je sah. Es gab Wein, Truthahn, Schinken, einfach alles, was das Herz begehrte. Frank, der von Natur aus ein guter Esser war, haute rein, als ob es keinen Morgen gab. Avery, die natürlich neben ihrer berühmten Tante sitzen wollte, hörte gar nicht mehr auf Jenny zu löchern. Sie wollte einfach alles über die gefährlichen Abenteuer wissen. Geduldig versuchte Jenny ihre Fragen alle zu beantworten. Bis spät in die Nacht saß man beisammen, lachte und erzählte von früher. Irgendwann am frühen Morgen fiel Jenny Holmes todmüde in ihr Bett und mit einem Lächeln im Gesicht schlief sie ein.

 

Am späten Nachmittag nahm Avery ihre Tante an die Hand und zeigte ihr ein wenig das riesige Anwesen. Vorbei an den Baumwollfeldern bis zu den Unterkünften der Sklaven.

„Mama sieht es nicht gerne, dass ich mich hier aufhalte.", sagte Avery. „Doch ich schleiche mich immer heimlich weg, denn Big Mama Bertha macht den besten Apfelkuchen.", grinste sie.

Als sie sich den Barracken näherten, kam ihnen eine furchtbar dicke Frau grinsend entgegen. Das musste Big Mama Bertha sein, dachte Jenny. Ihr Kopf war groß und ihr Gesicht kugelrund. Ihre schneeweißen Zähne blitzen, als sie ihren Mund auf machte und Avery freundlich begrüßte.

„Oh, Miss Avery kommt heute nicht alleine!?", sagte sie erstaunt.

Avery erzählte ihr, wer das ist und gleich wurde Jenny von ihr in den Arm genommen und fast zerdrückt.

„Kommt rein, ich habe gerade Apfelkuchen gemacht.", lachte Bertha laut.

Das ließ sich Avery nicht zweimal sagen und zog ihre Tante mit in die Küche. Sie hatte recht, lachte Jenny, das war mit Abstand der beste Apfelkuchen ihres Lebens. Hier fühlte sich Jenny Holmes gleich wie zu Hause und war dankbar das Avery sie hierher mit genommen hatte.