Flucht in die Sümpfe

Joshua hatte die Nacht über kaum geschlafen. Die Geschehnisse ließen ihn nicht zur Ruhe kommen. Auch hatte er beschlossen sein Versteck zu wechseln. Es schien ihm nicht mehr sicher genug zu sein. Er nahm seine wenigen Sachen, die er hatte, und machte sich im Schutz der Dunkelheit auf den Weg. Doch wollte er nicht gehen ohne Avery Bescheid zu geben. Durch die Baumwollfelder gelangte er ohne gesehen zu werden zu den Unterkünften der Sklaven. Er wusste, dass sich Avery dort gerne noch abends aufhielt, um mit ihnen zu singen und die Geschichten von Old George zu hören, wie er als junger Mann von den Weißen nach Amerika verschleppt wurde. Doch an diesem Abend hatte er Pech. Avery war nicht zu sehen, so beschloss er sein Vorhaben abzubrechen und kehrte der Farm den Rücken.

 

John Copper trieb sich mit einigen seiner Männer in der Gegend herum. Noch immer in der Hoffnung Joshua zu erwischen und ihn an den nächstbesten Baum zu knüpfen.

„Lass uns heimreiten, Boss.", sagte einer der Männer.

Doch John Copper winkte ab und gab seinem Gaul die Sporen. Hatte er doch einen Schatten durch die Baumwollfelder huschen sehen.

„Da ... da ist er! ", schrie er plötzlich los und schon trieben sie ihre Pferde in Richtung der Felder.

Joshua bemerkte rasch, dass er entdeckt wurde. Er nahm die Beine in die Hand und rannte um sein Leben. Die Dunkelheit war jetzt sein einziger Freund. Er wusste, wenn sie ihn schnappen, war das sein Ende. Hinter den Feldern lagen die Mangrovensümpfe. Wenn er die erreichen könnte wäre er gerettet. Also lief er so schnell er konnte, schlug einen Haken nach dem anderen, wie ein Hase. Die Schreie der Männer und das Getrappel der Pferde wurden leiser. Gleich hatte er die Baumwollfelder hinter sich. Da vorne begannen schon die Mangrovensümpfe. Nur noch ein paar Meter.

 

Joshua legte sich flach auf den Bauch und wagte kaum zu atmen, er holte noch einmal tief Luft sprang mit einem Satz auf und lief, als ob der Teufel hinter ihm her sei.

„Verdammt! Ich sehe den Mistkerl nicht mehr.", schnauzte Copper seine Leute an. „Wenn er den Sumpf erreicht, haben wir keine Chance mit den Pferden ihm zu folgen."

„Lass uns umkehren und morgen weiter nach ihm suchen."

Knurrend gab Copper nach und die Gruppe ritt zurück zur Farm von John Copper. Joshua blieb kurz vor dem Erreichen der Sümpfe stehen und blickte sich um. Er sah wie die Reiter kehrt machten und völlig außer Puste ließ er sich auf den Boden fallen. Sein Atem ging schwer und er spürte wie heftig sein Herz schlug. Bis zum Hals hinauf. Er blieb eine Weile so liegen, bis er wieder bei Atem war. Dann erhob er sich und begab sich auf den beschwerlichen Weg in die Mangrovensümpfe, wo es nur so wimmelte von Schlangen und Krokodilen. Doch wollte er überleben musste er diesen Weg gehen. Er wusste, dass Copper keine Ruhe geben würde, bis er ihn endlich hatte.

 

Avery hatte schon seit längerem kein Lebenszeichen von Joshua, weswegen ihre Stimmung auch im Keller war. Jenny bemerkte natürlich, dass ihre Nichte niedergeschlagen wirkte und so beschloss sie mit ihr einen Spaziergang zu machen. Avery zeigte sich nicht gerade begeistert aber willigte dann doch in Jennys Vorschlag ein. Als sie das Haus gerade verlassen wollten, erschien John Copper mit seinen Leuten.

„Guten Tag, die Ladies.", grinste er höhnisch. „Ich bin auf den Weg in die Sümpfe um mir den schwarzen Teufel zu holen."

Dann gab er dem Pferd die Sporen und ritt eiligst davon. Die beiden schauten sich verdutzt an. Jetzt wussten sie, wo sich Joshua aufhielt. Schnell liefen sie zu den Reitställen und der Stallbursche machten ihnen zwei Pferde fertig. Sie wussten, dass jede Sekunde zählen würde, denn wenn Copper ihn zuerst erwischt, ist er verloren.

 

Joshua hatte sich am Tage durch die Sümpfe gekämpft. Jetzt, da es Nacht wurde, suchte er Schutz unter einem alten Baum. Er fror, seine Kleidung war völlig durchnässt. Feuer konnte er keines machen, denn das würde man meilenweit sehen. Zusammengekauert mit angezogenen Knien saß er nun da und zitterte wie Espenlaub. Immer wieder nickte er vor Erschöpfung ein und schreckte dann plötzlich wieder hoch, weil er glaubte Geräusche zu hören. Seine großen Augen blickten in die Nacht, er wollte wach bleiben, sich keiner Illusion hingeben, sonst würde er noch verrückt. Seine Gedanken kreisten um Avery. Wird er sie jemals wiedersehen? Es raschelte und Joshua fuhr erschrocken hoch. Nein, das bilde ich mir nur ein, sagte er immer wieder zu sich selbst. Doch das leise Klopfen an seiner Schulter war keine Einbildung. Er drehte sich urplötzlich herum und stieß einen spitzen Schrei aus. Vor ihm stand eine kleine, ziemlich verwahrloste Frau. Ihre grauen zottigen Haare hingen wirr in ihrem Gesicht herum, die Kleidung völlig verschmutzt und zerrissen. Sie musste schon eine ganze Ewigkeit hier leben.

 

Jenny Holmes und Avery ritten wie die Teufel in Richtung der Sümpfe, kannte Avery doch einen Weg, der sie schneller an ihr Ziel brachte. So erreichten sie schließlich die Mangrovensümpfe. Von Copper war noch nichts zu sehen. Sie banden ihre Pferde an die Bäume und machten sich auf den Weg durch gefährliches Terrain. Doch wo sollten sie nach ihm suchen? Das Sumpfgebiet war riesig. Er konnte quasi überall sein. Jenny achtete auf Fußspuren oder schaute, ob sie abgeknickte Zweige fand. Doch so sehr sie sich auch bemühte, sie fand keine Spur von Joshua. Avery war verzweifelt und dachte bereits ans Aufgeben, doch da kannte sie ihre Tante Jenny schlecht. Was sich eine Jenny Holmes einmal in den Kopf setzt, das bringt sie auch zu Ende. So liefen sie also weiter in die Sümpfe hinein mit dem Vorhaben Joshua zu finden und ihn nach Hause zu bringen. Mittlerweile hatte auch John Copper die Sümpfe erreicht ,schwerfällig wuchtete sich der dicke Kerl aus dem Sattel, der Schweiß lief in Strömen an ihm herunter. Er nahm sein Gewehr und band sein Pferd an einen Baum, seine Leute taten es ihm nach.

„Jeder von uns geht einen der Pfade lang. Wer den Nigger sieht, gibt einen Schuss in die Luft ab.", befahl er seinen Leuten.

Dann marschierten sie los, mit dem Vorhaben den armen Joshua ins Jenseits zu befördern.