Erste Gefahren

Avery, ihre Tante Jenny, sowie die Köchin Bertha saßen vergnüglich schwatzend bei einem Stück herrlichen Apfelkuchen, als plötzlich aus der Ferne ein Reiter auftauchte. Bertha stand auf und eilte schleunigst in die Küche. Jenny schaute ihr verwundert nach. Als der Reiter näher kam, lupfte er seinen Hut und sagte freundlich: „Guten Tag, die Damen."

Jenny Holmes und ihre Nichte erwiderten den Gruß.

„Es wird hier nicht gerne gesehen, wenn sich weiße Ladies in den Unterkünften der Nigger aufhalten.", grinste er höhnisch.

Miss Holmes musterte den Kerl von oben bis unten. Er trug einen weißen Leinenanzug, dazu einen passenden ebenfalls weißen Hut. Er war dick und schwitzte stark. In der einen Hand hielt er die Zügel, in der anderen eine Peitsche.

„Sie sind fremd hier, Lady.", sagte er zu Jenny Holmes, die es durch ein Nicken bestätigte. „Aber Dich kenne ich! Du bist die Tochter von Jane und David."

Avery schaute beschämt nach unten.

„Und wer sind sie?", fragte Jenny.

„Mein Name ist John Copper.", antwortete der Mann. „Mir gehört das Land direkt neben diesem hier. Aber die Damen werden mich entschuldigen, ich muss nach meinen Niggern sehen.", lachte er und ritt davon.

Jenny Holmes schaute dem üblen Kerl noch lange nach. Man trifft in seinem Leben immer mal jemanden, den man nicht wirklich gut kennt, aber auf Anhieb nicht mag. Dieser Kerl war so jemand.

 

Nach dem Abendessen saß Miss Holmes noch eine ganze Weile alleine auf der Veranda und schaute in den Abendhimmel. Welch eine Ruhe, nur ein paar Vögel zwitscherten in den Bäumen und aus der Ferne drangen die Gesänge der Sklaven an ihr Ohr, die sie schon auf der Reise hierher gehört hatte. Sie saßen vor ihren Hütten, aßen zusammen und stimmten in uralte Lieder ein, die von ihrem Leid klagten. Gedankenverloren lauschte sie den Klängen, als sie plötzlich ihre Nichte in den nahegelegen Wald verschwinden sah.

Jenny schreckte hoch und begab sich sofort daran Avery zu folgen. Es dauerte nicht lange, da sah sie sie dort unter einem Baum mit einem ihr unbekannten jungen Mann sitzen. Sie hockten eng beisammen und redeten und lachten ab und an. Jenny musste grinsen und machte sich wieder auf den Weg zum Haus ihrer Schwester.

Am nächsten Morgen, als sich alle zum Frühstück versammelten, flüsterte sie ihrer Nichte leise ins Ohr: „Na, hattet ihr gestern Abend noch Spaß?"

Avery wurde rot, hatte man sie doch gesehen. War sie nicht vorsichtig genug? Nur gut, dass es Tante Jenny war und nicht etwa ihre Eltern.

Nach dem ausgiebigen Frühstück gingen die beiden noch ein wenig spazieren und Avery erzählte ihrer Tante mit wem sie sich desöfteren dort traf. Der junge Mann hieß Joshua. Er war ein Sklave und stand im Dienste ihres Vaters. Sie redeten oft über ihre Zukunftspläne und über alles was sie so bewegte. Doch Jenny wusste, dass wohl nur die ihrer Nichte in Erfüllung gehen würden. Sie versprach Avery niemanden davon zu erzählen, denn die Folgen wären fatal für Joshua.

 

Einige Tage später gleich nach dem üppigen Mittagessen beschloss Jenny Holmes noch einen kleinen Spaziergang zu machen. Sie schlenderte gedankenverloren den staubigen Weg zu den Pappeln entlang. Aus einiger Entfernung sah sie eine kleine Gruppe Männer, die lauthals diskutierten und in der Mitte von Ihnen stand ein junger Schwarzer. Sein Gesicht war geschwollen, Blut rann ihm aus der Nase. Jenny beschleunigte ihre Schritte, um zu sehen, was dort vor sich ging. Als sie näher kam, erkannte sie John Copper, dieser fiese dicke Kerl, den sie irgendwie nicht mochte.

„Was geht hier vor?", blaffte Jenny ihn an.

Er schaute ganz verdutzt, denn sowas war er von einer Frau nicht gewohnt.

„Das geht sie einen Scheißdreck an, Miss!", bellte er sie zornig an.

„Was hat der Junge ihnen getan, dass er so dermaßen misshandelt wird?"

„Der Nigger hat mich schief von der Seite angeglotzt. Das reicht um ihn an dem nächsten Baum aufzuknüpfen!"

Jenny war erschrocken, als sie sah, dass jemand dabei war ein Seil über den Ast zu werfen und eine Schlinge daraus zu knüpfen. Der Junge wurde gepackt und seine Hände auf den Rücken gebunden. Er wehrte sich kaum. Hatte er sich in sein Schicksal ergeben?

Jenny traute ihren Augen nicht und rannte wütend auf den Mob los. „Lassen sie sofort den armen Kerl los!", schrie sie verzweifelt.

Mister Copper verpasste ihr einen heftigen Stoß, sodass sie zu Boden stürzte. Dann geschah das Unfassbare. In Windeseile wurde der Junge zum Baum geführt, ihm die Schlinge um den Hals gelegt und dann zog man ihn hoch. Seine Beine zappelten wie wild, die Augen schienen aus den Höhlen zu quellen, dann war es vorbei. Leblos baumelte seine Leiche im Wind. Jenny sah Copper mit hasserfülltem Blick an.

„Das wird ihnen noch leid tun, sie Dreckskerl!"

Copper drehte sich um, grinste und spuckte vor ihr auf den Boden. Dann schwang er sich auf sein Pferd und ritt davon. Jenny Holmes kniete weinend im Staub und sah wie sich die Leiche immer noch im Südwind bewegte. Ein Bild, das sie für den Rest ihres Lebens nicht mehr vergessen würde.

 

Völlig am Boden zerstört betrat sie das Haus ihrer Schwester und berichte was sie soeben erlebt hatte. Doch zu ihrer Verwunderung war die Empörung bei Jane und ihrem Mann nicht sehr groß. Man erzählte ihr das sowas hier im Süden normal sei. Man missbilligt das zwar, aber dagegen was zu tun, gedenke man auch nicht.

„Tja, Liebes.", sagte Jane, „Der arme Kerl war zur falschen Zeit am falschen Ort."

Jenny war baff, dass man das einfach so abtat, als ob es das normalste von der Welt sei. Sie ging in ihr Zimmer, schloss sich dort ein und kam erst am nächsten Tag wieder heraus. Sie hatte beschlossen diesem Kerl das Handwerk zu legen, dazu war sie zu allem bereit. Das konnte und wollte sie nicht ungestraft durch gehen lassen. Ihrer Schwester und ihrem Mann wollte sie nichts davon erzählen, einzig Frank und Avery weihte sie ein, die auch gleich zustimmten und auf ihrer Seite standen. "Tante Jenny, pass nur gut auf Dich auf, dieser Kerl ist mächtig hier und sehr gefährlich", sagte Avery.