Von John Baker Sander auf Dienstag, 02. September 2025
Kategorie: Öffentlich

„Alles andere als bled der Sonntag, Backfischfestumzug und die Fischerwääd“

Müdigkeit steckte mir in den Knochen. Nur bedingt vom Sporttag. Eher von der Nacht von Freitag auf Samstag, in der ich nur wenige Stunden Schlaf fand.

Eigentlich wollte ich kurz nach 11 Uhr in Worms stehen. Wie alljährlich den Backfischfestumzug fotografieren – erst einmal die Gruppen bei der Aufstellung. Doch als der Wecker kurz nach 9 Uhr am Sonntagmorgen klingelte, reagierte ich gereizt und vor allem hundemüde: „Dieses Jahr lasse ich das mal. Nächstes Jahr bin ich wieder fit. Dann fotografiere ich den Backfischfestumzug wieder." Dennoch gab ich mir eine zweite Chance und stellte den Handywecker auf 11 Uhr 15.

Noch immer müde, aber schon wieder klarer im Kopf, beantwortete ich mir meine Fragen selbst: „Für wen mache ich das? Für mich! Damit ich in so zehn Jahren zurückschauen kann, was war. Vielleicht freuen sich irgendwann auch andere daran oder ich kann jemandem mit den Fotos eine Freude machen. Außerdem, Willst du wirklich eine Lücke im Archiv?"

Ich stellte mich unter die Dusche, futterte Schokoladenhörnchen, wurde von Mama am Frühstückstisch verwöhnt – kam mir ein wenig vor wie ein Schulbub – und konnte das so lange genießen, bis Mama in den Keller rennen wollte, um mir Wasser für die Trinkflasche zu holen. Da lief ich dann (zumindest) natürlich selbst.

Der Bus war voll. Nicht nur alle Sitzplätze, auch die Stehplätze waren belegt, sodass meine Mitfahrer – die meisten ebenfalls mit dem Ziel Worms – in den Gängen eng beieinanderstanden. Selten war ich so froh über einen Bussitzplatz wie diesmal. Meinen Knochen tat es gut – und eine weitere Dreiviertelstunde Schlaf auch. Verzeihung, falls ich unschön vor mich hin geschnarcht habe. Das nächste Mal schnarche ich wieder melodischer, fest versprochen.

Zu meiner Freude waren die Umzugsteilnehmer auch in diesem Jahr einfach freundlich und mir gegenüber aufgeschlossen. Ich schaffte es sogar, noch einige Gruppenfotos zu schießen und mich gut zu positionieren. Ausgerechnet gegenüber einem Arbeitskollegen meines Bruders samt Freundin, der mich gleich für seine Hochzeit im Juli 2026 festmachte. Ich höre bereits die Glocken läuten. Ich weiß nur noch nicht ob Hochzeits- oder Warnglocken? Ich lasse mich überraschen. Bis Juli 2026 ist ja noch ein Stück hin.

Ich stand bei zwei älteren Frauen, ich würde beide auf Mitte 60 schätzen. Beide waren freundlich, nahmen mir hin und wieder die Fototasche ab.
Die eine erzählte, dass sie normalerweise selbst fotografiert, den Fotoapparat diesmal aber zu Hause gelassen hatte, warum, verriet sie nicht. Dennoch machte sie eine Menge Bilder mit dem Handy.

Das Schauspiel des Umzugs mit seinen Gruppen ist ein Herzöffner. Ebenso ungemein freundlich waren die Menschen auf der Straße. Nicht einmal sagte einer: „Ich sehe nichts", „Du stehst im Weg", „Verpiss dich". Harmonie pur.

Es waren 100 Zugnummern, der längste Backfischfestumzug, den ich bisher erlebt habe. Ich wusste nicht, dass es „Pole Dance" in Worms gibt. Frauen an Stangen auf vorbeifahrenden Umzugswagen bewiesen das Gegenteil. Akrobatisch, attraktiv und mit Rotlicht hat das so gar nichts zu tun. Auch Turner, die gleichzeitig zu dritt am Reck turnten, lösten u. a. Begeisterung aus. Das Ganze war, so wie es stattfand, ein Spektakel.

Da lief ein Drache, die Umzugsstrecke, ein Judo-Affe, der mit den Menschen abklatschte, Ritter und der Tennisverein. Fechter, Basketballer, Fußballer, der Schachverein, der Hausfrauenverein. Sämtliche in Worms beheimateten Tanzschulen. Es spielten mehrere Orchester auf.
Übrigens: „Elvis" lebt! Ich habe ihn beim Umzug gesehen.

Was mir wahnsinnig gut gefiel, von den Wagen hörte ich nur einmal die Dopplung eines Songs und der lud zum Mitfeiern ein. Die Lautstärke war gut erträglich und trotzdem für alle beim Vorbeifahren deutlich zu vernehmen.

Nach Zugnummer 80 verabschiedete ich mich auf die „Fischerwääd", wo traditionell der Umzug endet und die Zugnummern kommentiert werden. Sehr schön. Dort sah ich mir dann nochmals knapp 70 Zugnummern an – mit Kommentar und im Beisein der Backfischbraut, des Kommentators und selbstverständlich auch des „Bojemääschter vun de Fischerwääd" sowie anderer Majestäten – und fotografierte.

Apropos Backfischbraut, Sie war auch in diesem Jahr eine, die ihren Job herausragend erledigte. Sie strahlte alle Zugteilnehmer an und wirkte, als wäre dieses Amt ihr absoluter Traumjob. Ich hatte sogar das Vergnügen, sie im Kreis ihres Teams und ihrer Freunde ablichten zu dürfen, ein lustiges Gruppenbildchen, das hoffentlich, nachdem ich es ihr zugeschickt habe, irgendwann einmal Erinnerungen an ihre Zeit als Würdenträgerin zurückbringt.

Ich war – sorry für die Ausdrucksweise – nach dem Umzug ein paar Minuten „total am Arsch". Das Wetter spielte entsprechend mit, 24, 25 °C, möglicherweise sogar mehr. Und ich hatte mehrere Stunden – trotz Trinkflasche in der Umhängetasche – nichts getrunken.

Einige Minuten saß ich dann auf Steinblöcken in der Nähe der „Fischerwääd", packte die Kamera weg und setzte mir das Fischerhütchen ab– das trage ich nur beim Backfischfest. Der Umzug hatte Überlänge, sodass ich erst nach einer erneuten Fahrt in einem vollen Bus - und wieder mit einem Sitzplatz unter meinem Hintern – gegen 20 Uhr 40 am Sonntagabend mit einem Gefühl von purer Zufriedenheit Zuhause einlief.

Hätte ich mich noch früher aus dem Bett gequält, hätte ich euch noch länger in diesem Blog vom Backfischfestumzug erzählt (und auch genervt, da müsst ihr durch oder den Blog zugeklappt lassen).

Ab und an beschleicht mich in den vergangenen Tagen das Gefühl. Ich lerne mich gerade nochmals anders kennen und vielleicht erfinde ich mich dabei zumindest ein klein wenig neu. – Wenn nicht auch nicht so schlimm, ich komme auch so ganz gut mit mir aus.



Passt gut auf euch auf und seid nett zueinander, wer immer ihr auch seid!?
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