Mias neue Freunde
Mia war erschöpft von der vergangenen Woche, die von unzähligen Herausforderungen geprägt gewesen war. Deshalb hatte sie sich am Wochenende dringend nach Ruhe gesehnt. Doch kaum hatte der Montag begonnen, wurde ihr klar, dass die Erholung nur von kurzer Dauer war. In der ersten Pause stand sie auf dem Schulhof und genoss für einen Moment die Sonnenstrahlen, als sie plötzlich vier aufgeregte Mitschüler bemerkte, die über ihre frisch geschriebene Physikarbeit diskutierten. Ihre Gesichter waren voller Frustration und Verwirrung, und Mia konnte ihre Stimmen hören, die allmählich lauter wurden. Zwei Mädchen und zwei Jungen hatten sich zusammengerottet, und die Anspannung war förmlich greifbar. „Leute, wer von euch hat die dritte Frage verstanden?" platzte eines der Mädchen plötzlich heraus. „Wie berechnet man überhaupt die Schwerkraft zwischen zwei Objekten? Gibt's dafür nicht irgendeine Formel?" Die Gesichter der anderen spiegelten ratlose Verwirrung wider. Einer der Jungen, ein etwas größerer Typ mit zerzausten Haaren und einem leichten Grinsen im Gesicht, zuckte resigniert mit den Schultern. „Sollen wir Hellseher sein oder was?", fragte er trocken, was die Gruppe in ein nervöses Lachen versetzte. Es schien, als hätte keiner von ihnen auch nur den Hauch einer Ahnung. Mia konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. Sie liebte solche Momente. Diese Herausforderung war für sie fast schon ein Vergnügen. Mit ein paar Schritte nach vorne und einer Mischung aus Selbstbewusstsein und einem Hauch Dramatik in ihrer Stimme meldete sie sich zu Wort. „Also wirklich", begann Mia, ihre Stimme ruhig, aber voller Überzeugung. „So schwer ist die Frage nicht, wenn man ein bisschen nachdenkt." Alle vier drehten sich überrascht zu ihr um. „Die mathematische Formel, die ihr sucht, basiert auf Newtons Gravitationsgesetz." Die Blicke wurden skeptisch. Sie konnte spüren, wie ihre Worte durch die Luft schwebten, und sie genoss diesen kurzen Moment der Unwissenheit, bevor sie ihnen das Geheimnis enthüllte. „F = (G * m1 * m2) / r²", erklärte sie, ihre Augen funkelten vor Freude. „F steht für die Gravitationskraft zwischen den beiden Objekten, m1 und m2 sind die Massen der Objekte, und r ist der Abstand zwischen ihnen. G, das ist die Gravitationskonstante, etwa 6,67430 × 10^(-11) N(m/kg)²." Sie hielt inne, um die Wirkung ihrer Worte zu genießen. Die Kinder starrten sie mit offenen Mündern an. „Und das alles in einer Formel?", fragte eines der Mädchen ungläubig. Mia nickte, ihr Grinsen wurde breiter. „Genau. Aber es wird noch interessanter! Denn dieses Gesetz ist nur eine Faustregel. In Extremsituationen – wenn es zum Beispiel um Super-Gravitationsfelder geht – muss man Newton durch Einsteins Allgemeine Relativitätstheorie ersetzen. Da spielen dann Effekte eine Rolle, die Newton gar nicht erklären konnte. Es ist ziemlich cool, wenn man darüber nachdenkt." Einer der Jungen, der zuvor mit den Schultern gezuckt hatte, konnte es nun nicht mehr lassen. Er verschränkte die Arme vor der Brust und sah Mia herausfordernd an. „Du, kleine Klugscheißerin aus der Unterstufe?" Mia zuckte nur leicht mit den Schultern, völlig unbeeindruckt von seiner Provokation. „Klugscheißerin? Vielleicht. Aber ich nenne es lieber Interesse an den Dingen, die die Welt bewegen. Mathematik und Physik sind halt meine Lieblingsfächer." Sie grinste selbstzufrieden.
Mia stand da, umringt von den vier Schülern, die sie neugierig musterten. Ihre schnelle, präzisen Antwort hatten ihre Aufmerksamkeit erregt. Eines der Mädchen konnte ihre Neugier nicht länger zügeln. „Hey, wie heißt du eigentlich?", fragte sie Mia, ihre Augen leicht zusammengekniffen, als ob sie versuchte, das Geheimnis dieser selbstbewussten Mitschülerin zu ergründen. Mia lächelte entspannt und antwortete freundlich: „Ich bin Mia. Und ihr?" Neugierig musterte sie die Gruppe, die ihr gegenüberstand. Die vier wirkten auf den ersten Blick wie eine eingeschworene Truppe – erfahren, älter als sie. Doch Mia ließ sich davon nicht einschüchtern. Sie wusste, dass Wissen und Intelligenz nicht von Alter oder Erfahrung abhingen. Leo, ein großer, athletisch wirkender Junge mit zerzausten Haaren und einem schelmischen Lächeln, stellte sich als Erster vor. „Ich bin Leo, 15 Jahre alt, genauso wie die anderen drei hier. Wir sind alle in der Oberstufe und nun im zweiten Jahr hier auf dem Internat." Mia hob leicht die Augenbrauen, bevor sie beiläufig antwortete: „Ich bin erst 14 Jahre alt." Sie sagte es nicht überheblich, sondern eher so, als wäre es eine beiläufige Bemerkung. Doch ihre Worte schlugen in der Gruppe ein wie eine kleine Bombe. Ein kurzer Moment der Überraschung zeichnete sich auf Leos Gesicht ab. Er hatte sie nicht für so jung gehalten. Für einen Augenblick herrschte eine gespannte Stille, bevor Leo sich fing und mit einem anerkennenden Lächeln entgegnete: „Nicht schlecht für einen Jungspund. Du scheinst ja wirklich etwas von Mathematik und Physik zu verstehen." Mia nickte leicht und konnte ein Schmunzeln nicht unterdrücken. Sie wusste, dass sie ihre Altersgenossen oft überraschte. Ihr war bewusst, dass sie vielleicht jünger war als die anderen, aber in ihrem Kopf drehten sich ständig die Zahnräder der Logik und der Wissenschaft. Das machte sie selbstbewusst. „Ich bin Anna", stellte sich das Mädchen mit dem fröhlichen Lächeln vor. Sie hatte eine entspannte, offene Ausstrahlung, die Mia gefiel. Dann meldete sich der zweite Junge zu Wort. „Und ich bin Noah", sagte er und nickte Mia zu, während er sich leicht auf einen Fuß verlagerte, als würde er ständig in Bewegung bleiben wollen.
Schließlich sprach das letzte Mädchen, das bisher still gewesen war. Ihre Stimme war leise, fast scheu. „Und ich bin Lina", fügte sie hinzu und lächelte zaghaft. Mia erwiderte das Lächeln und konnte nicht umhin, sich ein wenig wie ein Eindringling in die Welt der älteren Schüler zu fühlen. Doch gleichzeitig fühlte sie sich stark – nicht durch ihr Alter oder ihre sozialen Fähigkeiten, sondern durch ihren Verstand. „Freut mich, euch kennenzulernen", sagte sie. Ihr Tonfall war höflich, aber es schwang etwas Unüberhörbares mit: Selbstsicherheit. Leo musterte sie erneut, diesmal mit einem anderen Blick, als hätte er etwas Neues an Mia entdeckt, das ihm vorher entgangen war. „Also, Mia", begann er mit einem spielerischen Lächeln. „Wie kommt es, dass du mit 14 so locker über Physik sprichst, als wär's dein tägliches Hobby?" Mia zuckte mit den Schultern. „Ist es auch", sagte sie schlicht. „Für mich ist es einfach faszinierend, wie alles in der Welt miteinander verbunden ist. Die Gesetze der Physik, die Mathematik, all das … erklärt so vieles. Manchmal kann man sich damit sogar die größten Rätsel einfach herleiten. Es fühlt sich an, als hätte man einen Schlüssel zu etwas, das andere nicht sehen." Anna kicherte. „Das klingt fast schon, als wärst du eine Art Wissenschaftlerin in Ausbildung." „Vielleicht", antwortete Mia verschmitzt. „Aber ich sehe es eher so, dass ich einfach gern verstehe, was passiert. Und es macht Spaß, wenn man das Wissen dann anwenden kann – so wie bei eurer Physikaufgabe." Sie zwinkerte Leo zu, der nur den Kopf schüttelte. „Gut, dass wir dich getroffen haben", meinte Noah. „Wir hätten wohl noch ewig herumgerätselt." „Keine Sorge", sagte Mia. „Ich bin mir sicher, dass ihr das auch alleine hinbekommen hättet. Aber wenn ihr mal eine Physikfrage habt – ich bin in der Nähe." Sie grinste, als hätte sie gerade ein geheimes Angebot gemacht, das nur sie so charmant und intelligent verpacken konnte. Die vier älteren Schüler sahen sich an, und Mia wusste, dass sie sich ihren Respekt verdient hatte – nicht durch Worte, sondern durch das, was sie wusste und wie sie es vermittelte. Sie mochte vielleicht die Jüngste in der Runde sein, aber sie verstand schon lange, dass Wissen nicht nur Macht bedeutete, sondern auch ein Mittel, um sich in jeder Situation souverän zu behaupten.
Die Schulglocke läutete laut und durchdringend und kündigte das Ende der Pause an. Die vier älteren Schüler wandten sich etwas widerwillig von Mia ab und machten sich bereit, wieder in den Unterricht zu gehen. Doch bevor sie sich endgültig voneinander verabschiedeten, trat Noah einen Schritt auf Mia zu. Mit einem entspannten Lächeln fragte er: „Hey, wir wollen uns am Freitag um 17 Uhr im Stadtpark treffen. Hast du auch Lust zu kommen, Mia?" Mia, die immer noch von ihrem triumphalen kleinen Physik-Moment erfüllt war, spürte, wie ein warmes Gefühl der Vorfreude in ihr aufstieg. Ihre Augen leuchteten förmlich, als sie enthusiastisch antwortete: „Na klar, komme ich! Das klingt super!" Die anderen warfen sich vielsagende Blicke zu. Mia hatte es geschafft, sich in kurzer Zeit einen Platz in ihrer Gruppe zu sichern, trotz des Altersunterschieds und obwohl sie sich vorher nicht gekannt hatten. Da war etwas an ihr – vielleicht ihre Intelligenz, vielleicht ihre selbstbewusste und doch bescheidene Art – das sie beeindruckt hatte. Leo lachte leise in sich hinein und schüttelte den Kopf, als wäre er von Mias Selbstverständlichkeit, mit älteren Schülern abzuhängen, positiv überrascht. „Freut mich, dass du dabei bist", sagte er. „Wir machen meistens irgendwas Cooles zusammen. Du wirst Spaß haben." „Ja", fügte Anna hinzu, während sie ihre Haare aus dem Gesicht strich. „Es wird bestimmt lustig. Außerdem können wir vielleicht mal wieder deine Physikfähigkeiten testen." Sie zwinkerte Mia zu, und es war klar, dass dies nicht nur als Scherz gemeint war, sondern auch als ein Zeichen der Anerkennung. Lina, die bislang eher schüchtern gewirkt hatte, lächelte jetzt ebenfalls etwas offener. „Ich bin gespannt, was du sonst noch so drauf hast", sagte sie sanft, aber ehrlich. Mia nickte begeistert. Ihre Gedanken begannen bereits um das Treffen zu kreisen. Die Aussicht, mit diesen Schülern Zeit zu verbringen, die sie nicht nur als ebenbürtig, sondern vielleicht sogar als überlegen ansah, ließ sie sich schon jetzt auf das nächste Gespräch freuen. Das Treffen würde eine Gelegenheit sein, ihr Wissen zu erweitern, vielleicht noch mehr zu lernen – und wer weiß, möglicherweise würde sie sogar noch mehr Respekt gewinnen. Die Gruppe löste sich langsam auf, und alle machten sich auf den Weg zurück zu ihren Klassenzimmern. Während Mia in Richtung ihres Unterrichtsraums ging, konnte sie das Gefühl nicht abschütteln, dass dieser Tag ein Wendepunkt gewesen war. Sie spürte, dass dies der Beginn von etwas Größerem sein könnte – vielleicht einer vielversprechenden Freundschaft, vielleicht sogar einer neuen Phase in ihrem Leben, in der sie ihre Intelligenz und Neugierde noch stärker ausleben könnte. Doch für den Moment blieb sie bescheiden und konzentriert. Sie ließ den Triumph des Augenblicks nicht zu sehr an sich herankommen und fokussierte sich stattdessen auf den bevorstehenden Unterricht. Doch tief in ihrem Inneren, wo nur sie es spüren konnte, keimte ein Funke Vorfreude. Der Gedanke am Freitag ließ sie unwillkürlich lächeln. Als sie die Tür zu ihrem Klassenzimmer öffnete, blitzte eine Frage in ihrem Kopf auf: Würde sie am Freitag nur eine neue Freundschaft schließen – oder würde sie vielleicht sogar noch größere Abenteuer entdecken?
Fortsetzung folgt