Von John Baker Sander auf Dienstag, 15. April 2025
Kategorie: Öffentlich

„Hochzeit mit Aschenputtel“

Diese Hochzeit, die ich am vergangenen Samstag fotografieren durfte, war ganz anders als die Hochzeitsfeiern, auf denen ich bisher mit der Kamera herumwuselte.
Bestimmt nicht weniger liebevoll von den Menschen her, im Gegenteil!
Es gab auch traditionelle, von mir geschätzte Abläufe wie das Anschneiden der Hochzeitstorte, den Brautpaartanz und noch einiges mehr.

Dennoch fühlte sich diese Hochzeit insgesamt an wie eine verunglückte Spielshow auf einem Privatsender – bei der statt Werbung Raucherpausen eingelegt wurden. Und dann war da noch eine Braut, die auf mich einen klugen Eindruck machte, sehr liebevoll und fürsorglich wirkte, von Freunden und Familie geschätzt und gemocht wurde. Sie hatte an diesem Tag alles – nur nicht den Ehemann an ihrer Seite.

Kurz nach 10 Uhr traf ich vor dem Standesamt im Nachbarort ein. Ein Kollege des Bruders, der nach Absprache mit den Brautleuten den Fotoauftrag an mich weitergegeben hatte, holte mich ab. Gemeinsam liefen wir zum Haus der Brautleute, in dem offenbar neben den gemeinsamen Kindern auch noch ein Teil der Familie wohnte.

Ich mochte die Art der Menschen, rau, aber herzlich. Ich wurde sofort willkommen geheißen und hätte – wenn ich gewollt hätte – direkt ein zweites Frühstück einnehmen können. Die Braut wirkte in ihrem langen Blümchen-Brautkleid hübsch.
Der Bräutigam und ich tauschten neugierige Blicke aus. Er hatte wohl mitbekommen, dass ich ihn in seinem zu großen, rosa-weiß gestreiften Hemd neugierig musterte. Ich konnte vorerst nicht wegsehen. Trotz aller Anstrengungen blieben meine Augen an dem Hemd, besonders am Kragen, haften. Es sah aus, als wolle das abstehende Hemd den Bräutigam verschlingen.

Der Vater des Bräutigams war ebenfalls im Modestress.
Nachdem er zwei Hemden anprobiert hatte, warf er beide in die Ecke und rief: „Ich sehe darin aus wie ein Clown!" Er zog stattdessen ein weißes T-Shirt aus dem Schrank, streifte es über und fühlte sich gleich besser.

Bald traf immer mehr Familie ein – sowohl von der Braut- als auch von der Bräutigamsseite. Dann bekam ich auch die Kinder des Brautpaares zu Gesicht. In ihren feinen Anzügen (die Tochter in einem weißen Kleid) strahlten sie für mich deutlich mehr Festlichkeit aus als ihr Herr Papa. Vielleicht bin ich in diesem Schreibmoment aber auch einfach nur unfair und gemein?

Denn – um es vorwegzunehmen – mit dem Bräutigam wurde ich so überhaupt nicht warm.

Gemeinsam mit der Familie ging es zurück zum Standesamt. An die Braut klammerten sich schüchtern die Kinder, die ich auf etwa 3 und 5 Jahre schätzen würde, während die Tochter - aus einer früheren Beziehung des Bräutigams - wohl um die 10 war.

Der Bräutigam dürfte in seinen Dreißigern gewesen sein, wirkte jedoch auf mich jünger. Die Braut war Anfang zwanzig, wie ich durch aufmerksames Zuhören erfuhr.

Erste Fotos wurden gemacht – jetzt war ich in meinem Element. Die Familie und Freunde waren supernett und sehr zuvorkommend, was das Fotografieren betraf. Keine Bibos in rosa Pullovern, die sich nicht fotografieren lassen wollten.
Auch die Standesbeamtin war auf meiner Seite. Sie erklärte freundlich: „Sie dürfen hier ruhig überall herumlaufen." Toll!
In anderen Standesämtern wird mir oftmals eine feste Position zugewiesen, von der ich mich nicht fortbewegen darf. Die Standesbeamtin machte ihre Sache ganz wunderbar. Sie stellte das Brautpaar kurz vor, nannte Eckpunkte ihrer Beziehung und ging direkt zur Trauung über. Nach einer knappen Viertelstunde war die Sache geritzt und Braut und Bräutigam offiziell verheiratet.

Mir fehlte allerdings ein Hauch Romantik. Das gegenseitige Ringanstecken verlief hastig und war nicht besonders leidenschaftlich. Der Brautkuss war flüchtig, und die Kinder hingen weiterhin etwas maulig am Brautkleid-Zipfel. Danach folgten Gratulationen von der Standesbeamtin, der Familie, den Freunden und natürlich auch von mir.

Endlich kam etwas Hochzeitsatmosphäre auf, als die Brüder der Braut sie nacheinander umarmten und sie ihre Glückstränen nicht mehr zurückhalten konnte. Die frisch gebackene Ehefrau wurde von allen Seiten geherzt und mit guten Wünschen überschüttet. Dem Bräutigam wurde artig die Hand geschüttelt.

Vor dem Standesamt wurde Sekt gereicht und die üblichen Fotos mit Trauzeugen und Co. gemacht – natürlich auch das große Familienbild vor dem Brunnen des Standesamts. Beim Bräutigam hatte ich das Gefühl, er wollte mich ärgern. Auf jedem Bild legte er seinen Kopf, als wäre er ihm viel zu schwer, auf irgendeine Schulter. Trotz meiner dezenten Hinweise.

Zu seinen Kindern war der Bräutigam, das muss man sagen, liebevoll und aufmerksam.

Später erfuhr ich, dass die standesamtliche Trauung so kurz war, weil das Brautpaar seinen Hochzeitssong vergessen hatte und auch kein Thema ihrer Beziehung angegeben hatte, auf das die Standesbeamtin näher hätte eingehen sollen. Ich fand die Zeremonie mittelmäßig, zu weit entfernt von meinen Idealvorstellungen, was eine Hochzeit ausmacht und welche Atmosphäre dort vorherrschen sollte.

Vom Standesamt zog die Hochzeitsgesellschaft zu Fuß durch die Straßen zurück zum Haus des Ehepaares. Dort verteilte man sich auf Autos und fuhr gemeinsam zum Rathaus meines Heimatortes, wo der große Saal zum Feiern gebucht war.

Dort angekommen, wurden wir vertröstet, dass es noch einen Moment mit Kuchen und Kaffee dauern würde. Aber keine Sorge, verhungern müsse niemand, bis zum Kuchen gäbe es Nudelsalat für alle. Also aßen wir, Brautleute, Gästeschar und ich, erst einmal einen hervorragenden Nudelsalat, bevor die Hochzeitstorte angeschnitten wurde.

Die ersten drei Minuten half auch der Bräutigam beim Torteanschneiden und Austeilen, dann zog es ihn jedoch nicht auf den für ihn vorgesehenen Platz zurück – er setzte sich entfernt, gegenüber eines Freundes (oder Verwandten?) und verschlang dort genüsslich seinen Nudelsalat.

Die Ehefrau verteilte die Hochzeitstorte bis zum letzten Stück. Es handelte sich um eine Zweistöckige Torte – der untere Stock war mit Erdbeercreme und Vanille gefüllt, die obere Etage war ein leckerer Schokoladentraum. Geschmacklich und dekorativ gab es daran nichts auszusetzen.

In meiner Nähe schimpfte eine ältere Frau leise mit einer anderen über die Hochzeitstorte: „Wenn ich die gebacken hätte, wäre da niemals so viel Butter dran! Da klebt einem ja das Maul zusammen." Es schien, als hätte sie selbst gerne die Hochzeitstorte gebacken.

Ich wartete darauf, dass der Ehemann Sehnsucht nach seiner Braut entwickeln würde und auf den für ihn vorgesehenen Platz zurückkehren täte – doch das passierte nicht. Seine Gefährtin kümmerte sich um die Kinder, schaute ein wenig – zurecht miesepetrig – drein und hielt mit den Gästen Smalltalk.

Auch danach stand die Braut – anders als erwartet – für mich im Mittelpunkt. Sie räumte mit den anderen Frauen den Tisch ab, trocknete Kuchenplatten ab und füllte die Spülmaschine, bevor sie wieder ins Hochzeitsfeier-Geschehen eingriff.

Es wurde die Reise nach Jerusalem gespielt, gefolgt von einer launigen Polonaise durch das Rathaus: „Der Zug, der Zug hat keine Bremsen…", und wieder zurück in die Feier-Location. Ausgesprochen lustig anzusehen – aber noch längst nicht der Höhepunkt an albernen Spielchen.

„Beerpong" wurde mit den Gästen gespielt. Becher wurden mit Alkohol gefüllt, und in jeder Runde warf jeder Teilnehmer aus beiden Teams ein Bällchen. Getroffene Becher mussten von der gegnerischen Mannschaft getrunken werden. Hier blühte die Braut für einige Minuten richtig auf – sie plapperte mit ihren Freundinnen, lachte und warf geschickt mehrmals das Tischtennisbällchen in den Becher des Gegnerteams.

Anschließend rief man einen kuriosen Tanzwettbewerb aus, der mich sehr zum Lachen brachte. Eine Frau, gekleidet wie eine waschechte Truckerin, mit Baseballkappe, dunklen Jeans und roter Flanellweste, wurde zum Juror auserkoren. Sie ließ die Musik laufen, während alle abzappelten. Bei jedem Stopp der Musik sollten alle stehenbleiben. Wer nicht schnell genug war, flog raus. Über Minuten hinweg sah ich begeisternde, nie zuvor gesehene Tanzbewegungen.

Überhaupt fühlte ich mich unter den vielen T-Shirts und Jeans ein bisschen overdressed. Der Bräutigam brach mit einer der weiblichen Gäste auf, um Energiedrinks und weiteren Alkohol einzukaufen. Gegen 18 Uhr, knapp eineinhalb Stunden nach seinem Abtauchen, tauchte er wieder auf. Der Blick der Braut sagte einfach alles. Wenn Blicke töten könnten, wäre sie jetzt schon Witwe.

Es gab einen Brauttanz – für das Ehepaar knapp 90 Sekunden, die sogar sehr innig wirkten. Dann löste sich der Ehemann erneut von seiner Frau, um sich zu den Gästen an den Tisch zu setzen. Die Braut suchte sich einen anderen Tanzpartner, und viele der etwa 50 verbliebenen Gäste schnappten sich ebenfalls einen Partner zum Tanzen.

Was ich toll fand, war, wie die Kinder in die Feier integriert wurden. Es störte niemanden, dass sie unter den Tischen langkletterten, auf dem Boden auf Papier malten oder auf dem nahgelegenen Spielplatz- oder auf der Straße Fußball spielten.

Beim Buffet am Abend wiederholte sich leider das Szenario vom Mittag, der Ehemann nahm nicht neben seiner Frau Platz, während sie sich um die Kinder kümmerte und den Tisch aufdeckte.

Meine Meinung: Eine Braut sollte an ihrem Hochzeitstag solche Arbeiten nicht übernehmen müssen. Es geht darum, sich an der Familie und den Freunden zu erfreuen und sich selbst zu genießen. Aber vielleicht liege ich da ja so falsch und bin einfach zu verkitscht in meinen Fantasievorstellungen davon, wie so ein Tag sein sollte.

Die Stimmung stieg nach einem sehr leckeren Buffet (Schnitzel, Braten, noch mehr Nudelsalat, Geschnetzeltes, Curry, Klöße und Salat). Es war wirklich lustig, als mehrere Gäste mehrmals hintereinander aus einer roten Flüssigkeit einschenkten, die Gläser schnell austranken, den Kopf wild hin und her schüttelten und dabei ausriefen: „Ohhhhh, der ist aber Hinterfotzig!"

Gegen 22 Uhr nahm die Gästeschar spürbar ab. Einige zogen ihre Schuhe aus, andere legten ihre müden Körper und nackten Füße über zwei Stühle. Überall hörte man murmeln, wie lang der Tag gewesen war und wie schlecht man geschlafen hatte.

Was mir zu Herzen ging, war, als ich die Braut weinend in einer Ecke sitzen sah, die Tränen liefen in Strömen über ihre Wangen. Ich war schon auf dem Weg zu ihr, als ich doch noch abdrehte. Es ging mich nur bedingt etwas an, und Bruder und Mutter trösteten sie auch.

Die Braut fing sich wieder. Die Stimmung überschlug sich fast, als „Joana" von „Roland Kaiser" aus dem mitgebrachten Radio spielte. Die Gäste ergänzten leidenschaftlich die Worte: „Du Luder", „Du Drecksau", „Du geile Sau".

Gegen 22 Uhr 30 schlich ich mich schließlich davon. Frische Bilder gab es keine mehr zu fotografieren, die Konstellationen blieben gleich bei den wenigen verbliebenen Gästen.

Ich bedauerte sehr, dass der Bräutigam meine Bitte nach einem Schlussbild mit der Braut ablehnte. Mit der Begründung, es ginge nicht mehr, weil die Kinder schliefen und auf dem Schoß der Braut ruhen würden. Ich nahm das hin.

Schon am Mittag hatte ich erstmals den Gedanken, dass die Braut ein wenig wie Aschenputtel auf mich wirkte.
Die immer – mit seltenen Ausnahmen – nur am Tun und Machen war, während sich viele andere um sie herum vergnügten und es sich gutgehen ließen. … tapfer, tapfer! – Ich bin sehr gespannt, ob da jemand auf Dauer an ihrer Seite Prinz bleibt.

Auflösung gibt's möglicherweise schon im nächsten Jahr.
Dann werde ich für den Arbeitskollegen meines Bruders – der mich für diese Hochzeit angeheuert hat – dessen Trauung und Feier fotografieren.
Fazit: Die Menschen und die Familie fand ich sehr nett.
Möglicherweise wurde mir ein bisschen zu viel geraucht – aber was soll's, auch ich habe meine Laster.
Mit dem Bräutigam bin ich nie warmgeworden. Habe mit ihm auch während der Trauung – noch auf der Feier – insgesamt mehr als 20 Worte gewechselt.
Die Braut – zu der ist eigentlich alles gesagt. Sie hatte meine Sympathien.
Ein Tick mehr Hochzeitsatmosphäre und weniger "Wir feiern Oktoberfest" hätte der Veranstaltung gutgetan.

Sollte ich jemals so an so einem Tag mit der Partnerin meines Herzens und Vertrauens umgehen, soll sich der Höllenschlund öffnen, mich verschlucken und erst wieder ausspucken, wenn ich Besserung gelobe. ;)



Passt gut auf euch auf und seid nett zueinander, wer immer ihr auch seid!?
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