Heimat für Heimatlose
So nah dem Strand ein stiller Raum,
Ein eingehegter Garten:
Will man bei Sturm und Wogenschaum
Hier noch der Blumen warten?
Ich trete ein. Zwei Gräberreih'n
In Heidekraut und Moose.
Es sagt der Schrift erloschner Schein:
"Heimat für Heimatlose!"
Die mitleidslos das Meer geraubt
Und die das Meer gab wieder,
Hier legten sie ihr bleiches Haupt
Von Wellen triefend nieder.
Schiffbrüchige — man kennt sie nicht,
Ob Schiffsherrn, ob Matrosen,
Nun träumen von der Heimat Licht
Die armen Heimatlosen.
Du Fremdling mit dem flüchtigen Sinn,
Zieh lachend nicht von hinnen,
Auf dein Woher, auf dein Wohin
Sollst du dich hier besinnen.
Noch eh' der Abend niedersinkt,
Zerflattert Ruh und Rose,
Weh dem, dem nicht beim Scheiden winkt
Heimat für Heimatlose.
Du andrer Gast mit müdem Fuß,
Voll Schwermut und voll Sorgen,
Denk' nicht bei diesem Kirchhofsgruß:
"Hier wär' ich wohlgeborgen!
Was treib' ich noch von Ort zu Ort,
Ein Blatt im Sturmgetose?"
Ist wirklich Tod ein Ruheport,
Heimat für Heimatlose?
Wir sind ein Volk, vom Strom der Zeit
Gespült zum Erdeneiland,
Voll Unfall und voll Herzeleid,
Bis heim uns holt der Heiland.
Das Vaterhaus ist immer nah,
Wie wechselnd auch die Lose —
Es ist das Kreuz von Golgatha
Heimat für Heimatlose.
Rudolf Kögel (*18. Februar 1829 - † 2. Juli 1896)