Luni war mit den Hunden im winterlich verschneiten Wald unterwegs. Normalerweise genoß sie die Ruhe und hörte gerne dem Knirschen des Schnees unter ihren Füßen zu. Odin und Apollo spielten im Pulverschnee und stoben diesen auf, der im Sonnenlicht glitzerte. Doch nicht immer hat man das perfekte Wetter für so einen Ausflug. Diesmal erwischte es sie im wahrsten Sinne des Wortes eiskalt. Der Morgen war nasskalt und grau. Kaum ein Fünkchen Sonnenlicht stahl sich durch die kahlen Wipfel des Waldes. An den Nadeln der Tannen bildeten sich schwere Eiszapfen, deren Gewicht die Äste nach unten bog. Es war ganz und gar unfreundlich im Wald. Sie hoffte darauf, dass die Hunde ebenso schnell die Schnauze von dem Wetter voll hatten und sie zurück zum ausgemachten Treffpunkt gehen könne, wo ihre Mitfahrgelegenheit auf sie wartete. Naja, vielleicht wartete, denn so genau wusste sie das nie. Mehr als einmal stand sie alleine inmitten des Waldes und nicht selten ging sie zu Fuß nach Hause. Meist in miesem Wetter. Im Sommer mag das ja noch halbwegs erträglich sein. Von ein bisschen Regen ist noch keiner gestorben.
Aber nun, im tiefsten Winter... man könnte sich schnell was holen. Der Wald wirkte in seiner Düsternis und Kälte noch bedrohlicher. Die Stille, die ihr sonst immer gut tat, verkehrte sich ins Gegenteil. Sie war beklemmend. In Luni stieg eine difffuse Panik auf. Hektisch gingen ihre Blicke durch den Wald, ihr Puls beschleunigte sich. Ihr Gehör schärfte sich und sie horchte auf jedes noch so kleine Geräusch. Ihr Atem ging stoßweise und der Dampf schlug sich an ihrer Nasenspitze ab, wo er kondensierte und sie stets als Tröpfchen kitzelte. Luni begann zu zittern und ließ plötzlich einen lauten Schrei los, der ungehört von der Welt zu verhallen schien, als vor ihr wie aus dem Nichts eine schreckliche Gestalt auftauchte, Dürr und die Haut in Fetzen vom Gesicht hängend, stand ein Mann vor ihr. Ein bizarrer Anblick, denn neben seiner Hässlichkeit hatte er einen dazu passenden Ugly-Christmas-Sweater an und eine Mütze, an dessen Zipfel ein Glöckchen baumelte. Beide sahen sich an. Luni starr vor Schreck, die Hunde wie paralysiert. Die bemitleidenswerte Gestalt vor ihr wiegte mit dem Kopf hin und her, sodass die Zipfelmützenglocke schlug. Dann riss er die Augen auf, griff sich in die Tasche und holte daraus ein Päckchen Papiertaschentücher heraus, das er Luni hinhielt.
Diese schaute völlig perplex auf das Päckchen, das ihr wie ein Überraschungsgeschenk zum richtigen Zeitpunkt erschien, denn aus ihrer Nase machte sich der Schnupfen auf und folgte der Schwerkraft. Der grünliche Schleim war schon fast über der Oberlippe, da lächelte sie, ergriff das Taschentuchpäckchen, entnahm ihm eins und schnäuzte sich. Dann sagte sie freundlich »Danke«, überlegte, ob sie dieser Kreatur was gutes tun könnte, doch das Schreckgespenst winkte nur ab und stapfte weiter durch den Schnee, bis er im Dunkel des Waldes verschwand.