Es lebte einst im sagenhaften Lande Ralfistan eine schöne Müllerstochter, deren Haut von der Sonne gebräunt war und deren Augen so grün, wie das saftige Gras im Frühling schimmerten. Ihre brünette Haarpracht, die sie während der Arbeit in und um die Mühle herum zu einem Zopf geflochten hatte, schimmerten in der Mittagssonne brokatfarben. Ihr Kleid betonte die Figur und der Ausschnitt ließ die Ahnung eines fabelhaften Dekolletes zu.
Eines Tages kurz vor Sonnenuntergang, fuhr die Kutsche König Ralfs - denn die Herrscher in Ralfistan hießen immer Ralf - an der Mühle vorbei, wo die schöne Müllerstochter eben mit ihrer Nachbarin und besten Freundin tratschte. Die Arbeit war schließlich getan und nun durfte man sich den amüsanten Teilen des Daseins widmen. Sie quatschten und lachten und das so erfreulich, dass König Ralf sich sogleich in die Müllerstochter verguckte. Ihre Nachbarin kannte er ja schon und wusste, dass sie vergeben war, doch des Müllers Töchterlein schien ihm eine gute Partie zu sein. So befahl der König seinem Kutscher Halt zu machen und rief durch das Fenster: "He da, schöne Müllersfrau! Ich möchte Dich einladen zu Speis und Trank auf Schloss Ralfschön. Willst Du kommen und mein Gast sein?"
Die Müllerstochter schaute verdutzt und dem König entging nicht der fragende Blick, der sich in ihren grünen Augen abzeichnete. Jedoch schmolz er auch dahin, denn solche Augen hatte der König zeit seines Lebens noch nie gesehen. Plötzlich zischte es aus der Mühle heraus: "Na los, nu geh schon. Wird nicht unser Schaden sein und wir können das alte Haus reparieren, wenn Du erst den Schlüssel zu seiner Schatzkammer hast. Mach schon.... geh!"
Zögernd schaute die Müllerstochter von dem Fenster, aus dem diese Worte kamen, zu der Kutsche und wieder zurück. Dann sagte sie zu König Ralf: "Majestät, es ehrt mich sehr, ihr Gast sein zu dürfen, doch kann ich nicht in diesen Lumpen ihr Schloss betreten. Ich bin doch nur eine arme Müllerstochter und kann mir kein feines Zeug leisten."
Das sah König Ralf auch ein und erwiderte: "Keine Bange. Ich schicke meinen Hofschneider Dir ein schönes Kleid auf den Leib zu nähen. Sodann steht meinem Feste nichts mehr im Weg!"
Er klopfte mit seinem vergoldeten Gehstock gegen die Wand der Kutsche und gab so das Zeichen zur Weiterfahrt. Der Kutscher ließ die Peitsche knallen und die Pferde zogen an. Ratternd fuhr die Kutsche von dannen und ließ die beiden Frauen im schwindenden Licht des Tages zurück.
"Ui...", pfiff Adriana, die Frau des Schindelschneiders durch die Zähne, "... Du hast Dir echt König Ralf geangelt?! Respekt..."
"Halt die Klappe. Das ist doch nur ein Essen, oder?", lachte die Müllerstochter, jedoch verging ihr das Lachen, als ihr gewahr wurde, dass ihre Freundin gar nicht so unrecht hatte. Aber was sollte sie machen? Hätte sie dem König abgesagt, wäre es für alle böse ausgegangen. Sie musste förmlich zusagen, denn was der König will, das bekommt er auch. Achselzuckend schob sie nun zerknirscht nach: "Was hätte ich denn tun sollen?"
Am nächsten Tag hielt ein Reiter an der Mühle. Der lange schlaksige Kerl mit den langen braunen Haaren, die er zu einem Zopf gebunden hatte, stieg von seinem Pferd und band einen Koffer aus Weidengerten, sowie einen Ballen Stoff von dem Sattelgehänge des Pferdes. Er packte sich den Stoff unter die Achsel und schnappte den Koffer, dann ging er mit großen Schritten auf die Tür der Mühle zu.
"Aufmachen! Ich bin der Hofschneider des Königs und soll hier ein Kleid schneidern.", rief er bestimmt und wie von Geisterhand öffnete sich die Tür.
Nadelflizzus, der Schneider, betrat das dunkle Innere der Mühle neugierig. "Nanu, so dunkel? Kann man nicht ein Fenster öffnen und etwas Licht hereinlassen?"
Irgendwas verschwand ganz eilig in den Schatten der Mühle und Nadelflizzus schaute sich etwas verängstigt um. Doch dann hörte er eine wunderbare Stimme, die sagte: "Doch natürlich... entschuldigt bitte..." und im selben Augenblick öffnete die schöne Müllerstochter ein Fenster. Die Lichtstrahlen der Morgensonne fielen durch die Öffnung und Lichtfinger zeichneten sich in der von feinstem Mehlstaub etwas trüben Luft ab, die diese atemberaubende Frau zu streicheln schienen. Dazu spielte der hereinwehende Wind mit ihrem offenen Haar und ließ sie, zwar nur Bruchteile von Sekunden, wie eine Göttin erscheinen. Das goldene Licht ließ ihr dünnes weißes Schlafgewand, welches sie noch immer trug, wie von Karfunkel bestickt leuchten. Sie lächelte den Schneider an, der wie paralysiert da stand und kein Wort herausbrachte. Als sie nun auf ihn zukam, um ihn zu begrüßen, zeichnete sich unter dem Stoff ihres Gewands die Silhouette ihres Körpers ab. Ein Anblick, der Nadelflizzus schlucken ließ. Er zitterte regelrecht vor Aufregung und Anspannung.
Die Müllerstochter machte sich daran, den Hofschneider einen Platz am Tisch anzubieten, wo sie ihn bewirten wollte, doch Nadelflizzus war so von der Rolle, dass er ungelenk über die eigenen Füße stolperte und sich den Kopf an einem Mehlsack stieß, der an einem Seil von der Decke herab hing.
"Holla, was ist denn das?", fragte der Hofschneider.
"Ach, das... da trainiert der Müller für seine Faustkämpfe.", wiegelte sie ab, während sie Nadelflizzus an der Hand zum Tisch zog.
"Ein Boxsack?", fragte der immer noch perplex.
"Ja, ganz recht.", lachte sie ihn nun an und dieses Lachen verzauberte den Hofschneider.
Auf der Stelle verliebte er sich unsterblich in diese Frau, die aber König Ralf versprochen war. So zumindest dachte der König. Nun war guter Rat teuer. Wenn Nadelflizzus etwas wieder zurück in die Spur brachte, dann waren es geistige Herausforderungen und so lenkte er seine Gedanken wieder in züchtige Bahnen. Vergaß dabei aber nicht seinen Auftrag, wegen dem er geschickt wurde. Also nahm er - natürlich nicht ohne eigenes Plaisier - Maß am Körper der schönen Müllerstocher, übertrug alles auf den Stoff, schnitt und nähte wie von Sinnen. Am Nachmittag dann war es vollbracht und das Kleid lag wie eine zweite Haut auf der Müllerstochter. Nadelflizzus fehlten die Worte diesen Anblick zu beschreiben. Er wusste nur, dass er sich selbst übertroffen hatte und hier einen Augenschmaus kreiierte, der König Ralf bestimmt in höchste Verzückung versetzen würde. Doch herrje... dann würde der König sie zur Liebsten nehmen. Welch Dilemma!
Nadelflizzus musste sich verabschieden. Noch war Zeit bis die Feier auf Schloss Ralfschön, deren krönender Abschluss ein Musikabend sein sollte, ausgerichtet würde. Er musste die Zeit nutzen, sich eine List einfallen zu lassen, wie er dem König ein Schnippchen schlagen könnte, ohne bei ihm in Ungnade zu verfallen. Nur wie?
Am Hof herrschte ausgelassene Stimmung. Aus allen Teilen Ralfistans kamen die geladenen Gäste zusammen und schwatzten vergnügt, während sie einander zuprosteten. Im großen Saal waren die Tische gedeckt und die Kerzen in den goldenen Kandelabern brannten, damit auch wirklich genug Licht herrschte. Schließlich wollte man nicht nur den Wanst füllen, sondern sich auch an den Damen satt sehen. Ein Gong ertönte unüberhörbar und rief die Gäste zum Essen. Jeder suchte sich seinen Platz an der großen Tafel, an deren Stirnseite der große Stuhl König Ralfs stand, in dem er sogleich Platz nehmen würde. Jedoch wartete er, bis alle saßen. Grinsend schaute er in die Gesichter und König Ralf griff die Hand der schönen Müllerstochter, die in ihrem wunderbaren von Nadelflizzus meisterhaften Händen genähten Kleides der Einladung folgte. Eine Fanfare ertönte und König Ralf schritt in den Saal. Mit hoch erhobenem Kopf stolzierte er wie ein Gockel an den Gästen vorbei, die er aus den Augenwinkeln musterte. "Ja, seht nur, was ich hier habe... so eine Frau gibts nur einmal....", dachte er bei sich selbst und labte sich an den neidischen Blicken der Männer. Aber auch der Frauen, wobei diese eher neidisch auf das außergewöhnliche Gewand der schönen Unbekannten waren. Ein leises Raunen vernahm man immer dann, wenn der König mitsamt seiner Begleitung an ein paar Gästen vorbei war. Endlich am Sitz des Königs angekommen, bot der Regent galant seiner Dame den Stuhl an und setzte sich dann erst an seinen Platz.
"Liebe Gäste auf Schloss Ralfschön!", fing der König eine Rede an, "Ich freue mich, dass ihr so zahlreich meiner Einladung gefolgt seid und mit mir dieses Fest feiern möchtet. Nehmt Euch Speis und Trank, so wie es Euch beliebt. Wohlan!"
König Ralf klatschte in die Hände und aus den Türen seitlich des Saals kamen Diener und tischten die leckersten Speisen auf. Kapaune in Walnussmantel. Spanferkel in Apfelsosse. Gesottene Ochsenbrust mit Pastinaken. Bratwürste und Kraut. Von allem war etwas dabei und nicht zu knapp. Die Diener gaben jedem Gast, wonach er verlangte. Nur dem König und seiner Begleitung blieb es vorbehalten, etwas zu essen, das den anderen verwehrt blieb. Man beugte vor König Ralf einen Berg Frikadellen auf, drapierte darauf eine Würstchenkette und übergoss das alles mit reichlich Gebackene Bohnen in Tomatensosse. Vor die schöne Müllerstochter hingegen stellte man etwas, das zunächst noch unter einer silbernen Servierglocke versteckt war. Kaum wurde diese gehoben, ließ sie jedoch einen spitzen Schrei los.
"DAS soll ich essen?! Wie könnt Ihr es wagen, Majestät! Bin ich Euch nur diesen Fraß wert? Pfui Teufel!", schrie sie den König an, als sie die fette, grobe Leberwurst sah, die man ihr anbot. Weinend rannte sie davon und König Ralf, der bereits eine Fikadelle im Mund hatte und nicht vergaß ordentlich zu kauen, schaute ihr verdutzt nach.
"Mpf... mh..... waff hat fie denn?", fragte er irgendwie durch seinen gefüllten Mund hindurch.
Sämtliche Gäste schauten schockiert drein.
"Man hatte mir berichtetet, dass ich ihr Herz gewinnen könnte, würde ich ihr die fetteste Leberwurst der Welt kredenzen....", sagte der König tatsächlich überrascht.
In dem Stimmengewirr hingegen ging es völlig unter, wie der Hofschneider Nadelflizzus die türmende Müllerstochter abfing und ihr berichtete, dass dies nur seiner List entsprungen sei, damit sie nicht die Mätresse des Königs würde. Schnell ergriff er ihre Hand und beide rannten zu den Stallungen, wo Nadelflizzus ihr auf ein Pferd half, sodann selbst hinaufsprang und im Galopp Schloss Ralfschön verließ.