Ich schaute aus dem kleinen Fenster nach draußen. Langsam kam der Boden immer näher und ich konnte das wilde Treiben auf den Straßen erkennen. Knapp acht Stunden hatte der Flug gedauert und wie immer hatte ich kein Auge zugetan. Ich hasse Fliegen, es ist eng und ständig schreit irgendwo ein Balg. Ich kann einfach nichts mit diesen kleinen Menschen anfangen; zu laut, zu klein, zu blöd und zu stinkig. Ich wusste, dass das Thema „KIND“ irgendwann von meiner Freundin kommen würde, aber wieso ausgerechnet an dem Abend vor meinem Flug?
Ich hatte einen wichtigen Geschäftstermin in der Sahara. Eine Region, welche in Zukunft eine bedeutende Rolle einnehmen wird. Allgemein wird Afrika immer bedeutender, nicht nur unter dem Aspekt der regenerativen Energien, sondern auch wegen der vielen Bodenschätze und dem stätigen Wachstum von Arbeitskräften. Genau dies möchte sich mein Unternehmen in Zukunft zu Nutzen machen.
Die Maschine setzte auf und vor Schreck fing das Kind zwei Reihen vor mir wieder an zu brüllen, andere fingen an zu klatschen. Auch dies habe ich nicht verstanden. Haben die Klatschenden so wenig Vertrauen in den Piloten, dass sie vor Erleichterung sicher gelandet zu sein anfangen zu applaudieren? Oder klatschen sie, weil der Pilot seine Arbeit gemacht hatte? Und wieso applaudiert niemand wenn ich meinen Job mache? Die Welt ist unfair.
Kaum war der Applaus vorbei sprangen auch schon die ersten Menschen aus ihren Sitzen – die Bitte bis zur Parking-Position sitzen zu bleiben wurde wie immer ignoriert. Als ob es dadurch schneller gehen würde … ich schüttelte den Kopf und packte mein Buch in meine kleine Tasche.
Dann ging es nur noch schnell durch die Passkontrolle, der Koffer wurde flott eingesammelt und schon saß ich in einem viel zu heißem Taxi Richtung Hotel. Dort angekommen war ich froh, dass wenigstens hier die Klimaanlage funktionierte. Mein Zimmer war ein typisches Businesszimmer, wie immer wenn ich um die Welt jettete. Schnell stöpselte ich alle meine elektronischen Geräte ein, wenn das so weiter geht muss ich mir bald eine Steckerleiste mitnehmen müssen. Anschließend sprang ich schnell unter die Dusche, diese hatte ich nach dem Flug wirklich dringend nötig und ich genoss wie mir das heiße Wasser auf die Schultern prasselte.
Erfrischt nahm ich meine Unterlagen noch einmal zur Hand. Der Finanzierungsplan und die Projektplanung waren ziemlich umfangreich, weshalb ich die verbleibenden zwei Stunden nutze, um mir noch einmal die wichtigsten Fakten ins Gedächtnis zu rufen. Das Unternehmen, für das ich arbeite, interessierte sich für ein Grundstück mitten in der Wüste. Wir möchten die Sonnenenergie nutzen um Energie für Europa zu gewinnen. Moderner Kolonialismus? Vielleicht, aber ich interessierte mich für Zahlen und nicht für moralische Fragen; schließlich muss auch ich am Ende des Monats meine Rechnungen zahlen.
Ich saß in einem viel zu heißen Taxi, der Fahrer war nicht sehr gesprächig, aber das war auch besser so. Die Stadt hatten wir schon lange hinter uns gelassen und nun waren wir in der Wüste. Überall war Sand und ich fragte mich schon, wieso es hier überhaupt eine Straße gab so mitten im Nichts, als ich vor uns schon eine Menschentraube bemerkte.
„Wir da. 86,42 machen das“, sagte mein Fahrer und ich schaute ihn bei dieser Summe etwas seltsam an. „Würden Sie auch warten bis mein Termin vorbei ist?“, fragte ich ihn, da ich bezweifelte, dass mich sonst irgendein Taxi wieder ins Hotel bringen würde. „Ja, aber das kostet extra viel und ich muss Parkplatz suchen, weil nicht mitten auf der Straße warten kann“, antwortete er. Irritiert schaute ich mich um, immerhin war das hier eine gottverdammte Wüste und nicht die Düsseldorfer Kö. „Das ist natürlich kein Problem, Firma zahlt das ja.“ Der Fahrer nickte und ich stieg aus. Das Taxi fuhr los und stellte sich keine zwei Meter weiter am Straßenrand hin. „Parking-Position“, dachte ich ironisch.
Ich wandte mich zu den anderen Personen, es waren insgesamt vier und der bestbekleideste kam grinsend auf mich zu. „Ach sie müssen Herr Schnirlefitz sein, ich bin Herr Utobeng und bin für den Verkauf des Grundstücks verantwortlich“, sagte er mit einem breiten Akzent und zerquetschte mir beinahe die Hand während er versuchte sie zu Schütteln. „Snierwils“, sagte ich zähneknirschend. „Sehr schön, dass Sie auch da sind, dann sind wir jetzt vollständig. War Ihre Reise angenehm? Schön, dass ihr Taxi wartet, aber ich sag ihnen, dass wird teuer werden“, plapperte er wie ein Wasserfall drauf los. Ich lächelte etwas steif, „das wird kein Problem sein.“ „Schön, sehr schön.“ Wir gingen zu den Anderen, die mich neugierig musterten. Zwei Männer und eine Frau. Die Frau war schlicht gekleidet. Sie war zwar keine atemberaubende Schönheit aber auf ihrer einfachen Art strahlte sie eine gewisse Attraktivität aus. Der eine Mann hatte viel zu viele Sommersprossen, und der Sonnenbrandt in seinem Gesicht biss sich fürchterlich mit seinen roten Haaren. Die schlabberige Jeans und das viel zu große Hawaiihemd trugen dazu bei, dass ich ihn nicht ernst nehmen konnte. Der letzte Mann war fast so breit wie hoch, sehr blass und erinnerte mich stark an den Weihnachtsmann, fehlte nur noch der Schlitten.
„Schön, schön. Das hier ist Herr Schnirlefitz“, stellte mich den Anderen vor und ergänzte: „Und das sind Frau Schnipenheim, Herr Gaudi und Herr Santa“. Dabei war der Rothaarige Gaudi und der Weihnachtsmannverschnitt Santa – ernsthaft?
Herr Utobeng wandte sich an mich. „Herr Schnirlefitz was möchte ihre Firma denn mit diesem Grundstück anstellen?“ Ich holte tief Luft und begann meinen ca. vierzig Minuten langen Vortrag, in welchem ich die Größe und das Leistungsvermögen und den damit einhergehenden Gewinn darstellte. Natürlich würde unser Projekt auch positive Auswirkungen für die einheimische Bevölkerung und die allgemeine Infrastruktur haben. Als ich endete hatte Mister Gaudi schon einen dunkelroten Ton angenommen und Mister Santa schaute sich desinteressiert in der Gegend um, nur Frau Schnipenheim hörte mir interessiert zu. Herr Utobeng klatschte übertrieben erfreut in die Hände. „Wunderbar, wunderbar. Ein sehr interessantes Projekt und ich kann mir vorstellen, wie gerne meine Klienten ihnen das Grundstück überlassen würden. Aber hier sind ja noch drei weitere Interessenten.“ Ich schaute etwas dämlich, denn ich hatte nicht gewusst, dass ich hier in direkter Konkurrenz um ein Stück Land kämpfen würde müssen, vor allem nicht wenn diese aus Mr. Krebs und Mr. Weihnachtsmann bestehen würden.
„Frau Schnipenheim, was haben Sie denn mit dem Grundstück vor?“, fragte Utobeng die Frau. „Oh, also meine Organisation und ich wollen uns dafür einsetzen, dass dieses ganze Areal unter Naturschutz gestellt werden soll, um die heimische Flora und Fauna zu schützen“, antwortete die kleine Frau knapp. Utobeng schaute sie etwas skeptisch an, „und wo ist dann der Gewinn?“ Schnipenheim schnaubte sehr undamenhaft: „Wir sind eine gemeinnützige Organisation und sind nicht auf materiellen Profit aus. Wir wollen die Natur erhalten und diese vor Menschen wir Herrn Schnirlefitz schützen.“ „Snierwils“, knurrte ich etwas gepresst. Welche Flora wollten die denn hier bitte schützen? Es gab hier Sand und Sonne und flirrende Luft und Sand, Sand, Sand und SAND. So eine Ökotussi hatte mir jetzt auch noch gefehlt, aber Utobeng schien sie auch nicht für voll zu nehmen, denn er sagte nur „ah interessant“ und richtete seine Aufmerksamkeit dann auf den roten Krebs.
„ Herr Gaudi was ist denn Ihr Konzept?“ „Also ich habe mir etwas ganz besonderes überlegt“, begann er etwas zu aufgedreht. „Sie müssen wissen, ich arbeite für einen großen Getränkehersteller, Sie wissen schon, für die ganz Großen. Wir wollen weg von dem ganzen Chemiekram, künstliche Aromen und dem ganzen Zeug. Wir wollen richtig Öko werden, am besten auch vegan und so. Wir planen ein neues Produkt: Apfelfanta!“ Mr. Krebs ließ dies mit einer dramatischen Pause wirken. „Wir wollen hier eine Apfelfantaplantage anbauen, dass heißt wir wollen hier Apfelbäume pflanzen die, nur mit Fanta bewässert werden, damit die Äpfel auch den Geschmack der Fanta annehmen. Dann werden wir die Äpfel ernten und in die ganze Welt exportieren. Auf die Verpackung und Pfand und so weiter können wir ja dann durch das neue Produkt verzichten.“
„Ein Apfel der wie Fanta schmeckt?“, fragte ich ungläubig. Mr. Krebs schaute mich böse an. „Das sagte ich doch gerade.“ Herr Utobeng wirkte wirklich begeistert von der Idee und fragte etwas zu enthusiastisch: „Können Sie die Äpfel dann auch mit Fanta zero bewässern? Meine Frau wirft mir immer vor, dass ich auf meine Linie achten muss.“ Mr. Krebs zog eine Braue hoch, leckte sich über die Lippen und ergänzte kurz: „Wir arbeiten daran.“
Herr Utobeng nickte etwas resigniert und fragte abschließend Mr. Santa was seine Pläne für das Grundstück wären. „Hoho“, begann er. „Nun sie müssen wissen dass ich der Chef mehrere Unternehmen bin. Über das ganze Jahr stellen wir Spielzeug usw. für die Kinder her, ich betreibe eine Rentierzucht, ich baue Schlitten und in der Weihnachtszeit habe ich auch noch einen Lieferdienst direkt bis unter den Weihnachtsbaum.“ Ich schaute ihn wie ein Auto an, hatte der einen an der Klatsche? Nicht nur wie der Weihnachtsmann aussehen, sondern sich jetzt auch noch für ein unternehmerisches Multitalent ausgeben?! „Seit kurzem bin ich auch Glatteisverkäufer und damit meine keine neue Eissorte, sondern Glatteis als Bodenbelag. Durch den fortschreitenden Klimawandel gibt es im Winter nicht mehr genügend Glatteisflächen, sodass es mein Schlitten schwere hat zu starten und zu landen. Besonders mein engster Geschäftspartner Rudolf ist diesbezüglich sehr besorgt. Aus diesem Grund haben wir uns dazu entschieden Glatteis selber herzustellen, damit wir einen reibungslosen Ablauf an Weihnachten gewährleisten können.“ „Aber hier ist es doch total heiß!“, wandte Utobeng ein. „Das ist kein Problem für uns – wir benötigen nur eine abgelegene Fläche, damit wir ungestört arbeiten können.“ „Und was passiert mit dem Glatteis sobald Weihnachten vorbei ist?“ „Herr Utobeng, dann wollen wir das Glatteis an umliegende Städte spenden, damit die Kinder auch danach noch beim Schlittschuhfahren Spaß haben können“. Dabei schaute mir Mr. Santa besonders tief in die Augen und ich musste mir die Horden an Kindern vorstellen welche laut lachend und fröhlich über das Glatteis fahren. Mr. Santa mit seiner Glatteismaschine für immer mehr fröhliche Kinder sorgte, Mr. Krebs dabei noch seine Apfelfanta als Bratapfelfanta verkaufte und Mrs. RettetdieWelt anfing sich rührend um Santas Rentiere zu kümmern .
Schreiend lief ich zum Taxi, sprang auf den Rücksitz und knallte die Tür zu. „Fahren Sie doch endlich!“, schnauzte ich den Fahrer an. Dieser drehte sich zu mir um und ich erschrak. Hier saß kein Mensch mehr am Steuer, sondern ein rotnäsiges Rentier.
Ich schreckte aus dem Schlaf hoch. „Wasn los?“, murmelte meine Freundin neben mir. „Nichts, hab nur schlecht geträumt“, beruhigte ich sie und kuschelte mich eng von hinten an sie.