Die kleine Hexe Jen wollte ihre Freundin im beschaulichen
Kaiserwinkel besuchen, kam jedoch nach der bayrisch-österreichischen Grenze in einen Schneesturm und verflog sich prompt. Der Sturm nahm zu und zwang sie zur Landung, auch weil sie ihren Besen wieder tanken musste und natürlich war weit und breit keine
Tanksäule zu finden. Kaum den Boden unter den Füßen schaute sie sich um, wo sie denn nun eigentlich war. Tatsächlich hatte sie sich nur ein bisschen verflogen und landete statts in Tirol im Salzburger Land. Genauer in St. Johann im Pongau. Sie kicherte in sich hinein und dachte sich »Na kein Wunder. Das musste schließlich mir passieren, dass ich in Jo im Po lande. Aber ist auch ganz schön...«
Das Schneetreiben nahm zu und sie sah die eigene Hand vor Augen kaum, so dass sie beschloss sich hier Quartier zu suchen. Natürlich steigt eine Jen nicht in irgendeiner x-beliebigen Pension ab. Nein, sie betrat eines der besten Häuser am Ort, das Hotel „
Alpenschlössl“ und schritt auf die Dame an der Rezeption zu. Diese junge Frau kam ihr fast schon zu jung vor, mit ihren zu zwei Zöpfen, die links und rechts vom Kopf abstanden, gebundenen rotgetönten Haaren und der champagnerfarbenen Brille. Sollte aber Jens geringste Sorge sein. Das Hotel war bestimmt ausgebucht. Da musste eine List her und sowieso konnte sie sich eine Übernachtung hier nicht wirklich leisten.
»Guten Tag. Wie kann ich ihnen helfen?«, wurde Jen von dieser jungen Rezeptionistin begrüßt.
»Guten Tag. Ich … äh…«, stotterte Hexe Jen los, weil ihr noch kein Plan einfiel, doch dann verwickelte sie die junge Frau erst einmal in eine Plauderei. »Furchtbares Wetter, finden Sie nicht? Ich kam fast vom Weg ab….« So plauderte Jen die Rezeptionistin fast schwindlig und diese bemerkte nicht, wie Jens Finger kreisend um den Computer ging. Sie sah auch nicht die kleinen Sternchen, die aus ihrer Fingerkuppe kamen.»...ja, aber ich habs ja dann doch noch geschafft«, schloss Jen mit ihrem Ablenkungsmanöver.
»Ich hab eine Suite reserviert auf den Namen Freundlich.«
Die junge Rezeptionistin schaute im Computer nach und sagte dann geschäftsmäßig nüchtern: »Ja, da stehen Sie. Jen Freundlich aus Hintersalatblatthausen.« Sie griff hinter sich und überreichte Jen den Schlüssel. »Soll ich ihr Gepäck…?«
»Nein, nicht nötig«, unterbrach Jen die Frage sofort, »ich reise mit leichtem Gepäck.«
»Sehr wohl«, sagte die Rezeptionistin, erklärte Jen den Weg zur Suite und die kleine Hexe ging beschwingten Schrittes über die schalldämpfenden Teppiche hinweg zu ihrer Unterkunft. »Na, da wird der neue Bürgermeister von Hintersalatblatthausen aber doof gucken, wenn er die Rechnung bekommt...«, kicherte sie dabei in sich hinein.
In der großzügigen Suite ließ sie sich aufs Bett fallen und schlief fast augenblicklich ein.
***
Goldene Sonnenstrahlen, die durch das große Panoramafenster strahlten, weckten die kleine Hexe auf. Gähnend streckte sie sich und schaute erfreut um sich. Dem Unwetter folgte ein bezaubernder Wintertag. Der Schnee, der nun üppig überall lag glitzerte in der Morgensonne, die von einem wolkenfreien blauen Himmel schien. Ein wahres Wintermärchen. Ein leichtes Grummeln in Hexe Jens Bäuchlein erinnerte sie an ein baldiges Frühstück. Sie griff zum Telefon und orderte eine Kleinigkeit per Roomservice. Die Kosten waren egal, würde sie ja doch nur der Oberschlauchführer tragen müssen und seit er ein hohes Tier in der Hintersalatblatthausener Politik ist, würde er keine Geldsorgen haben.
Jen ging kurz ins Bad und schaute in den Spiegel. Ihre Haut war glatt wie der eines Pfirsichs, was man allerdings von ihrem Gewand nicht behaupten konnte, in dem sie die Nacht schlief. Kein Problem, da dieses Hotel ja nun für alles was parat hatte und so fand sich auch ein kleines
Bügeleisen in einem der Schränke. Jen zog sich aus, schlüpfte in einen der flauschigen Bademäntel, und nutzte die Wartezeit auf das Frühstück damit ihr Kleid zu bügeln. Schon klopfte es an der Tür. Sie öffnete und ein Page in einer schicken Livree schob einen Servierwagen mit einer großen silbernen Glocke herein, hob diese sodann an und machte einen tiefen Diener. Rücklings (oder wie man in Tirol auch gerne sagt „arschlings“) trat er den Rückzug an und zog die Tür zur Suite zu.Jen genoß das üppige Frühstück, dass sie sich bestellte und beendete es mit einem kleinen Piccolo. Man gönnt sich ja sonst nichts auf Kosten anderer. Danach sprang sie noch unter die Dusche und nachdem sie frisch und munter war, schnappte sie sich ihren Besen und verließ das Hotel.
Draußen war bereits wieder Trubel der Touristen. Alle wollten sie was von dem Wintermärchen abhaben und es bildeten sich riesige Schlangen an den Skiliften. Von den Pisten schossen sie waghalsig hinab, egal ob auf Skiern, Snowboards oder Schlitten. Plötzlich hörte man einen Knall und ein unheimliches Grollen. Der Boden vibrierte und alle Augen richteten sich erschrocken in die Richtung, aus der dieses Geräusch kam. Ein gewaltiger
Lawinenabgang schoß mit ungeheurer Geschwindigkeit hinab ins Tal. Ehe man es sich versehen konnte war der Ort bis in die kleinste Ritze mit Schnee überfüllt. Alles ging so schnell, selbst Jen konnte nicht reagieren und wurde von den Schneemassen mitgerissen. Sie konnte sich erst aus dem Schnee befreien, als alles wieder ruhig war. Verdutzt schaute sie herum, sah den Ort, der unter Schnee nahezu begraben lag, und dachte sich »Nu ist Jo wirklich im Po«. Ganz oben, an der Abbruchkante, stand ein kleiner leicht korpulenter Mann auf einem Snowboard, der mit aufgerissenen Augen und offenem Mund nach unten ins Tal schaute und bibbernd beteuerte: »Das war ich nicht!«
Der ganze Ort war am Maulen und Jen dachte nur kopfschüttelnd, wie man überhaupt nur die Pisten nach so einem Schneegestöber freigeben konnte. Aber das sollte nicht mehr ihre Sorge sein. Sie klemmte sich den Besen zwischen die Beine und düste nun endlich nach Tirol.