Pumpkin King

12 Stunden 3 Minuten her - 11 Stunden 33 Minuten her #6940
Pumpkin King wurde erstellt von Skintin
Liebe Lunaria-Community,
vielen Dank für die wirklich liebe Aufnahme, ich habe heute Morgen
eine kleine Halloween Geschichte für Euch geschrieben,
sozusagen als Einstand.
Ich hoffe sie gefällt Euch und Ihr habt kurz eine schöne Zeit.
Euer Skintin 
Pumpkin King
 
***
„…und da kommen sie als feiner Pinkel all the way aus New York City nach upstate um von einem alten Mann eine Gespenstergeschichte zu hören? Na, dann sind sie hier richtig Mister!“ Er drehte sich zur Küchenzeile um und klapperte mit Tassen und Löffel. „Na, ich werde ihnen erstmal einen Kaffee einschenken, das gehört sich ja so. Phil aus dem Brown Bear hat ihnen davon erzählt Mister? Der erzählt viel wenn der Tag lang ist, aber diesmal hat er Recht – ich hab wirklich was ziemlich unheimliches erlebt:

Es war im Herbst `57 oder `58, im Indian Summer, so um Halloween herum. Wir waren gerade aus dem mittleren Westen hergezogen.  Mom hatte was mit der Lunge und der Doc sagte, ihr würde kühlere Luft guttun.
Als Granny starb, Gott hab sie selig, verkauften sie also die Familienfarm und wir fuhren hier her nach Rugged Falls und kauften eine neue Farm. Schweinezucht und anderen Kleinkram, aber auch Acker, naja sie können sich denken wie eintönig das war. Wir waren 5 Geschwister und an dem Abend fuhr Dad mit uns beiden kleinsten zur Festwiese außerhalb des Dorfes. Rugged ist eine deutschstämmige Community und sie feierten jedes Jahr im Herbst ein bizarres Erntedankfest:
Eine bunte Mischung aus Oktoberfest und Halloween, also eine Horror-Lederhosenparty.“
Er kicherte nicht unsympathisch, aber mit einem Belag auf der Lunge und setzte sich dem Geschichtensammler knarzend gegenüber.
„Die Erwachsenen besorgten sich deutschschmeckendes Bier und für uns Kinder gaben sie sich große Mühe: Es gab sogar einen Schlangenbeschwörer (ich glaube das war eigentlich Gary aus Maryvill mit Schuhcreme im Gesicht), Bratwurst und einen Kürbiswettbewerb, aber davon erzähle ich ihnen später noch Mister.“ Er kramte einen ledernen Tabakbeutel aus der Hosentasche und legte ihn zwischen beiden auf den Tisch, als eine Aufforderung an den Gast sich zu bedienen. „Der ganze Spaß wurde von uns Kirmes genannt. Aber im breiten Dialekt klang das wie Körmed, also wie Kermit der Frosch. Wir wussten ja, dass ‚Pumpkin‘ im Deutschen Kürbis heißt und ‚Carnival‘ Kirmes, so entstand über die Jahre das Wort Körmidd.“
Er steckte sich die krumme Zigarette in den Mund, zündete sie an und lehnte sich beim Einatmen weit zurück...


Auf der Körmidd war ordentlich was los. Die Kinder kreischten, die Teens knutschten heimlich hinter den Budenund die Erwachsenen auch. Der Nachmittag verging und es wurde bereits dunkel. Langsam wurde mir schlecht. Bratwürste war ich nicht gewohnt, Zuckerwatte und Soda obendrauf…mir war einfach kotzübel. Dad hatte genug Germanbeer, nur meine Schwester war sauer, sie wollte noch heimlich mit Roy knutschen aber Dad stopfte uns entschlossen in den alten Pickup und wir fuhren los. Von der Festwiese ins Dorf fuhr man eine Weile durch einen dichten Ahornwald.
Wir waren aber gerade von der Festwiese abgebogen, da sahen wir eine kleine weiße Frau mit langen schwarzen Haaren im feuchten Gras am Straßenrand stehen. Die anderen Wagen vor uns fuhren an ihr vorbei als würden sie sie nicht sehen. Aber Dad hielt natürlich an und fragte sie wo sie hinwolle.
Eigentlich war das damals so üblich.
Im Scheinwerferlicht sah sie aus wie eine Eisstatue: Sie trug ein Brautkleid und das war ziemlich durchscheinend, aber in meinem Alter achtete ich noch nicht so auf Details…sie wissen was ich meine…“
Er lehnte sich kumpelhaft vor, tippte auf die Schulter des Mannes und atmete ihn unangenehm an.  

„Mit dünner, leiser Stimme sagte sie, dass sie nach Hause wolle. Dad beugte sich zum Beifahrerfenster herüber und sagte: ‚kein Problem‘ und wir stiegen aus. Da sahen wir erst, dass sie neben ihren nackten Füßen einen riesigen Kürbis neben sich im Gras liegen hatte. Dad fragte ob das ihrer sei und sie antwortete – ‚Der wird Billy gefallen, er ist der Allergrößte.‘ Sie kam uns nun etwas seltsam vor wie sie so dastand, barfuß mit nassen Haaren (es war allerdings ein warmer Herbstabend und die Leute in der Gegend waren Arm und trugen selten Schuhe), aber wir wollten helfen und hievten den Kürbis auf die Ladefläche und die kleine glitt – elegant wie eine Schlange – auf den Beifahrersitz.
Wir fuhren eine kurze Zeit, bis sie mit einer Handbewegung bedeutete, dass wir in eine kleine Straße einbiegen sollten, in die wir vorher noch nie gefahren sind. Schon bald sahen wir durch die Bäume einzelne Lichter durchscheinen. Sie stammten von einem kleinen Haus mitten im Wald und mit einer weiteren Handbewegung hieß sie uns anhalten. Dad hielt an und wir stiegen wieder aus. Wir wussten weder wo genau wir waren, noch hatten wir jemals dieses Haus im Wald gesehen. Aber die Kleine schien hier zu wohnen, also machten wir uns daran den Kürbis wieder abzuladen. Sie könnte ihn ja am nächsten Tag mit Verstärkung abholen.
Zum Haus konnten wir nicht fahren, denn es führte nur ein kleiner Trampelpfad dorthin. Wir mühten uns mit vereinten Kräften den großen Kürbis von der Ladefläche zu bekommen, aber irgendwas war seltsam: Er rutschte und wackelte durch unsere Hände als hätte er ein Eigenleben und es kam wie es kommen musste:
Wir fummelten hektisch daran herum aber er glitt uns irgendwie durch die Hände, fiel zu Boden und zerbrach!

Da stieß die Kleine einen furchtbaren Schrei aus: Eine Mischung aus Zorn und Trauer. Das ging uns bis ins Mark und ließ uns kreidebleich mit offenen Mündern dastehen, während sie die Hände über den Kopf zusammenschlug und schreiend den Waldweg zum Haus entlang rannte. Wir waren so erschüttert, dass wir nichts sagen oder tun konnten, außer uns ins Auto zu setzen und schleunigst nach Hause zu fahren.


Mom fragte warum wir so aussahen und ob etwas passiert war, aber da wir vollzählig waren und niemand blutete war sie eher neugierig als erschreckt. Dad goss sich drei fingerbreit Bourbon in eine Tasse und sagte:
Später Schatz, später.
***
Am nächsten Morgen, es war Sonntag, saßen wir betrübt zum Frühstück beieinander. Man konnte uns ansehen, dass wir kaum geschlafen hatten, aber Dad hatte einen Plan: Er sagte, dass er mit Butch und mir noch vor der Kirche einen Kürbis von hinter der Scheune holen wird und ihn dem Mädchen als Wiedergutmachung bringen wollte.
Wir luden also den schönsten und größten Kürbis auf die Ladefläche und fuhren im Morgengrauen zu der Hütte im Wald. Der Weg war nicht schwer zu finden und bald waren wir an der Stelle wo das Mädchen abends ausgestiegen war. Aber da war kein zermatschter Kürbis und …. auch keine Hütte. Weil wir in der Gegend noch nie zuvor waren, hatten wir uns vielleicht geirrt, also cruisten wir langsam die Straße auf und ab.
Keine Hütte…Nichts.
So fuhren wir wieder schweigend nach Hause. Mein Vater hat nie wieder darüber gesprochen.“
Jetzt war er tatsächlich bleich im Gesicht und seine Augen wirkten leer und traurig.
„Nach der Kirche ging ich rüber zu Mister Bauers, er war wahrscheinlich 100 Jahre alt, aber bestimmt der Älteste in Rugged Falls. Er saß auf der Porch und rauchte seinen selbst angebauten Tabak in der Pfeife. Ich fasste mir ein Herz und fragte ihn ob wir reden könnten. Er zeigte auf die Bank und schob den Eistee zu mir rüber.
‚Oh, das Haus im Wald? Das kennt eigentlich jeder hier. Das mit der weißen Frau!‘ Ich bekam Schweißausbrüche, Magendrücken und eine trockene Zunge, trank einen Schluck und fragte was damit sei. Er antwortete, dass die Einheimischen sie nicht sehen können, nur die Durchreisenden und die Touristen, weil sie auf ihr Unglück hinweisen will an dem wir angeblich Schuld wären…

Die Geschichte ist schon ziemlich traurig, willst du die wirklich hören?‘
Er wippte auffordernd im Stuhl.
Natürlich wollte ich sie hören und er sagte, dass sie Mary-Lynn hieß und ein sehr hübsches aber seltsames Mädchen war. Sie war die einzige Tochter der Wards und sie war wohl eine Spätgeburt, denn die Wards hatten schon graue Haare als sie sie bekamen. Sie wohnten zu dritt dort in dem Haus und lebten anscheinen von einem kleinen Vermögen, denn nie sah sie jemand arbeiten oder etwas anbauen. Sie besuchte die Schule in Maryvill auf der anderen Seite des Flusses. Und dort lerne sie auch Billy Manners kennen, ein genauso schräger Typ wie sie.
 ‚Beide waren die Außenseiter und wir anderen waren nicht nett zu ihnen. Wir erfanden Reime über sie und warfen ihnen auf der Straße Sachen nach und so…. Heute tut es mir schon leid, naja, aber damals war das halt so. Mary-Lynn und Billy trafen sich also nicht öffentlich, weil wir sie immer verspotteten, wenn wir sie sahen.
Heimlich hat sich da wohl eine große Liebe entwickelt. Aber sie konnten nun mal nicht wirklich zusammen sein.

Dann hatte Billy eine Idee, wie er zu Ansehen innerhalb der Community gelangen konnte: Zur Körmidd wurde jedes Jahr der Pumpkin King gewählt. Lach nicht, das war wirklich eine große Sache damals.
Du musst wissen: Jeder Junge, der was auf sich hielt, züchtete einen Kürbis für den Wettbewerb, allerdings musste man mehrere ziehen, wer weiß schon wie groß und schön einer wird. Also hatten wir jeder unser eigenes Kürbisfeld und mussten es die ganze Zeit vor den anderen verteidigen, denn manch einer machte einfach die anderen kaputt, damit seiner der schönste wurde. Glaub mir, es war eine harte Zeit bis man den Kürbis zum Wettbewerb bringen konnte und wer gewann hatte dann wirklich großes Ansehen, nicht nur bei den jungen, sondern auch bei den alten Farmern im Dorf.

Der Pumpkin King war so zu sagen eine Vorauswahl für die Vorarbeiterstelle einer Farm. Hast du es kapiert? Es ging fast ums Leben! Billy hatte heimlich noch ein zweites Kürbisfeld und gab sich natürlich allergrößte Mühe.
Man munkelte er düngte mit Tierblut und war mitternachts auf dem Feld und so. Aber jedenfalls war sein Kürbis nachher garantiert der schönste und größte. Nur, dass er vom Truck fiel, zerbrach und das war’s...‘


Bauers atmete tief ein, lehnte sich in meine Richtung vor und eine kurze Zeit lang dachte ich er würde meine Hand nehmen. Er tat es aber nicht und unsere Hände lagen nebeneinander auf der rissigen Tischplatte.

‚Der Rest ist so traurig, ich mach’s kurz: Das war im großen Krieg, deshalb ging er nach Lewensburg rüber, schrieb sich bei den Marines ein und wurde direkt als Kanonenfutter nach Frankreich eingeschifft, wir haben ihn nie wieder gesehen, bestimmt haben ihn die Krauts erwischt. Und die arme Mary-Lynn hat das nicht verkraftet. Sie wurde einige Zeit später unten im Fluss gefunden, ein Badeunfall hieß es…Ende Oktober! Naja, und sie war wohl schwanger…wirklich übel die Geschichte … ich werde heute noch ganz traurig … Dann ging auch noch die Hütte der Wards eines Tages in Flammen auf … Meine Güte war das alles schlimm´

Ich nickte fassungslos, stand auf, winkte und ging direkt ins Bett.
Auch ich habe niemals wieder darüber gesprochen.“
***
Auf der Veranda fiel etwas um und schwere Schuhe ließen die Dielen knarzen…die Fliegentür klatschte gegen die Außenwand. „Sheriff's Department, Mohoc County was haben sie hier zu suchen? …Wie bitte? …Schriftsteller? …Erzählen sie keinen Scheiß Mann! …Das Haus steht leer sie haben hier nichts zu suchen! …Der Keeper im Brown Bear soso…und der weiß nicht, dass Kevin seit einer Woche tot ist und schickt sie zum Interview hierher.
Bullshit, machen sie, dass sie davonkommen, am besten sie verschwinden aus der Stadt, wir mögen hier keine Schnüffler!“
***
Folgende Benutzer bedankten sich: Luni

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9 Stunden 30 Minuten her #6941
Luni antwortete auf Pumpkin King
Diese Geschichte ist aus deiner Feder?!? 
Ich bin positiv überrascht. Du hast einen tollen Schreibstil und du machst dich unter anderem damit gerade "etwas" interessant für mich.^^ 
Danke für den kurzweiligen, schönen Beitrag. Es war mir ´ne Freude es zu lesen.
Folgende Benutzer bedankten sich: Skintin

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