1 Monat 2 Tage her - 3 Wochen 4 Tage her #6186
Der Tod spielt Klavier
Ich wachte auf und spürte, dass ich bei Bewusstsein war. Jedoch konnte ich nichts sehen, um mich herum war alles schwarz. Ein Schwarz, das man wahrnehmen kann wenn die Augen geschlossen sind. Mich überkam das Bedürfnis einen tiefen Atemzug zu nehmen, als würde dieser über Leben oder Tod entscheiden. Ich musste atmen, meine Zellen mit Sauerstoff anreichern - wach werden.
Ich bemühte mich, meine Lungen mit Luft zu füllen und konnte spüren wie ich zu Bewusstsein kam. Meine Augen öffneten sich und starrten an eine Decke. Eine weiße, karge Decke eines Raumes. Ich drehte meinen Kopf und sah mich um. Nicht viel Mobiliar stand in diesem Raum, nur eine kleine Theke, so wie sie oft vor Hotels stehen wenn sie von den Conciergen genutzt werden - Aber niemand stand dahinter.
Die Wände waren mit dunklem Ebenholz vertäfelt und der Boden auf dem ich lag, war ein alter, abgenutzter Dielenboden. Ich blieb noch einige Sekunden liegen und fragte mich, wo ich mich befinde und wie ich überhaupt hierher gekommen war. Meine Erinnerungen hatte ich allesamt noch, doch an was ich mich nicht erinnern konnte - wie ich in diesen Raum gekommen war.
Ich rappelte mich langsam auf und begutachtete meinen Körper. Nicht selten kam es vor, dass ich an einem Wochenende zuviel getrunken hatte und mich am nächsten Morgen bei Freunden wiederfand. Mit einem Kater und blauen Flecken von Stürzen oder Auseinandersetzungen, die ich in meinem Rausch hatte. Allerdings fühlte ich mich nicht verkatert, ich fühlte mich nicht mal schlecht. Ich wusste nicht welche Tageszeit es war. Der Raum hatte kein Fenster und es drang nirgends eine Lichtquelle durch, von der ich hätte auf die Uhrzeit schliessen können. Lediglich eine Tür befand sich darin.
Ich trat zur Tür und legte meine Hand auf den kalten Türknauf und drehte ihn langsam eine halbe Drehung nach links. Behutsam öffnete ich die Tür und sah hinaus.
Es offenbarte sich mir ein langer Flur. Dunkelroter Teppich bekleidete den Boden des Flures und die Wandvertäfelung zog sich den gesamten Flur entlang. Ich trat hinaus und sah viele weitere Türen wie meine. Alle waren sie geschlossen und neben jeder dieser Türen hing eine Fischglaslampe, aus der gelbes, gedimmtes Licht schien. Am Ende des Flures befand sich eine große Tür, die doppelt so groß und heller beleuchtet war als alle anderen. Als würde sie mir zurufen "Hier musst du hinein".
Meine Schritte waren lautlos als ich den Flur entlang ging und ich horchte, ob ich irgendetwas hören konnte - doch es herrschte friedliche und bedrückende Stille zugleich.
An der großen Tür angekommen lauschte ich nochmals und es schien mir, als könne ich ein Klavier hören. Ich legte mein Ohr an die Tür und hörte, wie jemand Klavier spielte. Die Melodie war keine mir bekannte Melodie - Ich glaube es war nicht mal eine Melodie. Es hörte sich stimmig an und dennoch an manchen Stellen chaotisch. Als würde jemand ein Musikstück an manchen Stellen absichtlich falsch spielen.
Ich klopfte an. Die Tür war so massiv, dass ich nochmal klopfte weil es sich so dumpf anhörte, dass ich dachte nicht gehört zu werden. Das Klavierspiel stoppte, niemand sagte etwas wie "herein" oder "ja bitte". Ich hielt einige Sekunden inne und das Klavier begann wieder zu spielen. Ich öffnete die Tür mit einem flauen Gefühl im Magen und sah durch den Spalt eine Frau davor sitzen. Sie war mir mit dem Rücken zugewandt und spielte weiter, ohne mich zu beachten.
Langsam trat ich ein und schloss die Tür hinter mir - die Frau hörte auf zu spielen. Ich sagte "Entschuldigung?", aber sie blieb in der gleichen Position sitzen und drehte sich nicht zu mir um. Ich sah ihr schwarzes, langes Haar am Hinterkopf, welches ihren gesamten Rücken bedeckte. Sie trug ein rosafarbenes Kleid das wohl einst mal rot war. Im ganzen Raum roch es vermodert und ihrem Kleid nach zu urteilen, kam ein Teil des Geruchs davon. Es hatte Löcher und es fehlten hier und da kleine Stofffetzen. Die Atmosphäre des Raumes war unheimlich. Die gleichen, gelbfarbenen Fischglaslampen hingen an den Wänden und es war kein einziges Fenster darin zu sehen. Dennoch hingen Vorhänge an der Wand, die lediglich die Holzvertäfelung schmückten. Ausser dem Klavier befanden sich noch zwei weitere Türen darin - eine rechts und eine links.
Die linke Tür hatte eine blaue Farbe und in entgegengesetzter Richtung befand sich eine grüne Tür. Beide waren verschlossen.
Leicht nervös sprach ich die Frau erneut an: "Hallo, guten Abend....oder...Tag. Ich...bin mir nich sicher wieviel Uhr es gerade ist." Sie drehte sich langsam zu mir um, immer noch auf dem Hocker vor dem Klavier sitzend und ich blickte in pechschwarze Augen. Ihre Augen hatten keinen weißen Augapfel, nur ein einziges, tiefes Schwarz. Erschrocken trat ich einen Schritt zur Seite von ihr weg und mein Fluchtinstinkt wurde ausgelöst, als sie plötzlich vor mir stand. Gerade eben saß sie noch und in nächster Sekunde stand sie unmittelbar vor mir, als wäre sie teleportiert. Ihre Augen blieben regungslos, doch ihr Mund öffnete sich zu einem unheimlichen Lächeln. Ich bekam Angst, als ich ihre Zähne sah. Sie hatte spitze Zähne und viel mehr davon als ich oder jeder andere Mensch. Mehrere Zahnreihen zeigten sich hintereinander als sie den Kiefer öffnete. Mit einem Atemhauch von ihr erstarrte ich an Ort und Stelle und eine Stimme in meinem Kopf erklang: "Du brauchst keine Angst zu haben, du bist in Sicherheit." hallte es in meinen Gedanken. "Wo bin ich hier?" stotterte ich gerade so heraus. Sie schloss ihren Mund und ihre Mimik nahm eine ausdruckslose Form an. "Du bist im Raum der Entscheidung, hergekommen als Seele ohne Körper. Du fühlst keinen Schmerz, oder?" fragte sie mich rhetorisch. "Nein, ich fühle keinen Schmerz, ich fühle mich...gut."
Aus irgendeinem Grund sah ich auf meine Armbanduhr, vielleicht war es der gleiche Fluchtinstinkt wie vor einigen Minuten. "Deine Uhr steht still." sagte sie - "Die Zeit steht still. Du bist verstorben Jonas."
Mich überkam ein Gefühl von Traurigkeit und sofort schossen mir mehr Gedanken durch den Kopf als ich ertragen konnte. "Aber ich muss noch meine Mutter abholen und mein Arbeitgeber wartet schon auf mich", sagte ich entsetzt. Sie schaute mich immer noch mit diesem ausdruckslosen Blick an und sprach: "Dieser Raum hat keine Fenster, denn er existiert im Nichts. Eigentlich ist er genau nach deiner Fantasie gestaltet, so, wie du dir den Übergang vom Leben in den Tod vorstellst." Ich konnte spüren wie mir eine Träne die Wange hinunterlief und ein beengendes Gefühl von Endlichkeit durch die Brust strömte.
"Das war´s jetzt? Ich kann nichts mehr tun? Niemandem bescheid sagen, keine Telefonate mehr führen? Ich kann in keins der Gesichter meiner Familie mehr schauen und nie wieder mit jemandem reden?", schluchzte ich. "Was hast du erwartet?" fragte sie mich und schaute mich dabei fragend an, als wäre diese Frage selbstverständlich.
Ich ließ meinen Körper sacken und fiel in die Knie. Meine Tränen feuchteten mein Gesicht weiter an und mir wurde bewusst, dass ich nun nichts mehr tun kann. Alle Gespräche die ich bis hierhin geführt hatte, waren geführt. Alle Umarmungen die ich bisher verteilt hatte, waren die letzten. Alles was ich je getan habe, ist Geschichte.
"Wer bist dann du, wenn das hier das Ende ist!?" fragte ich sie wütend, ohne sie anzuschauen.
Sie verschwand und saß plötzlich wieder am Klavier. Sie spielte die gleiche, chaotische Musik wie zuvor und es hörte sich immer noch falsch an was sie spielte.
"Ich bin der Tod, aber meine Rolle ist nicht so wichtig wie das, was jetzt kommt. Siehst du die beiden Türen neben mir? Die blaue Tür und die grüne Tür entscheiden über deinen Weg. Du hast die Wahl." fuhr sie fast gleichgültig fort. Ich sah auf zu den Türen und war immer noch wütend und fühlte mich ohnmächtig. Doch was hatte ich für eine Wahl. Ich fühlte mich wie ein Hund, dem man zwei Knochen hinwarf und der sich für einen der beiden entscheiden musste: "Wie sieht meine Auswahl denn aus?"
Sie ließ die Tasten verstummen: "Die blaue Tür führt dich hinaus ins Universum auf einen anderen, zufälligen Planeten. Du wirst als Entität wiedergeboren, wie sie auf dem jeweiligen Planeten existiert. Du steigst als neugeborenes Individuum in die Kultur und Epoche ein, der sich in dieser Welt befindlichen Bewohner. Nichtsahnend, dass es ausser euch noch weitere Bewohner dieses Universums gibt, weit weg von deinem letzten Standort auf der Erde. Dein Gedächtnis und deine Erinnerungen werden getilgt. Du startest von Neuem.
Die grüne Tür führt dich wieder zurück auf die Erde. Du wirst als Mensch in der gleichen Epoche wiedergeboren, jedoch an einem zufälligen Standort. Dein Gedächtnis ist zurückgesetzt und du kannst die gleichen Erfahrungen machen, ohne zu wissen sie jemals zuvor schon gemacht zu haben. Auch hier wirst du in dem Glauen leben, dass ihr alleine im Universum seid und auch das ist ein Neuanfang. Bedenke jedoch, sobald du durch eine der Türen gehst, verlierst du deine Erinnerungen und deine Prägungen.
Wähle deine Tür." und sie begann wieder zu spielen.
"Was?! Wie soll ich mich da entscheiden? Keins ist besser als das andere. Ich will meine Erinnerungen behalten, sie sind alles was mich ausmachen, alles woran ich hänge und alles was ich noch habe!" schrie ich ihr entgegen. Ich wollte mich nicht entscheiden. Das Gefühl, alles zu verlieren fraß mich von Sekunde zu Sekunde mehr auf.
Plötzlich stand sie wieder vor mir wie aus dem Nichts und riss ihren Mund weit auf. Ihre spitzen Zahnreihen traten aus ihrem Kiefer heraus und ihre Augen weiteten sich: "Wählst du nichts, wird deine Seele hier enden. Du trittst an meine Stelle und verweilst in Ungewissheit, während ich mir endlich meine Tür aussuchen darf. Ich wollte meinen Tod nicht wahrhaben und wählte nichts...so weile ich hier seit endlos langer Zeit und geleite die Toten in ihre neuen Leben - Darauf wartend, dass jener dabei ist, der sich nicht entscheiden kann und mich somit ablöst. Willst du diese Aufgabe, so setze dich ans Klavier und spiele bis in Ewigkeit. Willst du sie nicht, so wähle JETZT!"
Ich schaute erst die blaue, dann die grüne Tür an und lief hastig zur grünen Tür, obwohl ich mir nicht sicher war wofür ich mich entscheiden sollte. Dort angekommen, nahm ich den Türknauf in die Hand und drehte mich noch einmal zu ihr um. Sie war weg. Weder das Klavier wurde bespielt, noch stand sie irgendwo im Raum. Ich drehte den Türknauf um und stieg in ein helles, weißes Licht. Mein letzter Gedanke war: "Bitte? Lass´mir ein bisschen Erinnerung."
"Schon wieder hast du dich für die Reinkarnation auf der Erde entschieden Jonas. Nicht einmal warst du in deinen Toden bei mir und hast dich für die blaue Tür entschieden..." sprach der Tod - "Als ob euch irgendwas in den Sternen an eure früheren Leben erinnere..."
Creepypasta von Luni
Bildbearbeitung von Fizzy Lemon
Wahrheitsgehalt: 0%
Letzte Änderung: 3 Wochen 4 Tage her von Luni.
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