Sunny
Von
Jenny
in Musik
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25th Juni 2020
Video Dauer: 00:06:34
Pünktlich zum 80. Geburtstag Eugen Ciceros hebt In+Out Records einen Archivschatz und veröffentlicht ein bereits verschollen geglaubtes Konzertjuwel. Zusammen mit seinem Berliner Big-Band-Kollegen Paul Kuhn bespielte der Crossover-Pionier am 5.10.1992 das Bernhard Theater im Souterrain des Züricher Opernhauses vor etwa 300 Gästen. Zugleich handelt es sich um die erste posthume Veröffentlichung von Paul Kuhn auf dem Label In+Out Records, welchem er in den letzten 25 Jahren seines Schaffens treu blieb.
Swingende Duette souveräner Musiker an zwei Klavieren hat man lange nicht mehr gehört. Ende der Dreißigerjahre gab es einmal eine Zeit, in der sogar drei Pianisten, Albert Ammons, Meade Lux Lewis und Pete Johnson, auf der Bühne der New Yorker Carnegie Hall gemeinsam Boogie Woogie musizierten. Wenn nun die Aufzeichnung eines Duo-Konzerts zweier europäischer Pianisten von Rang aus dem Jahr 1992 wiedergefunden wurde, dann ist das vielleicht wirklich eine kleine Sensation.
Die Umstände dieser Edition erinnern in aller Bescheidenheit an den Mitschnitt von Benny Goodmans berühmtem Carnegie Hall Jazz Concert im Januar 1938 auf Azetatplatten, die im Kleiderschrank des Bandleaders versteckt waren, bis sie bei Goodmans Auszug aus diesem Apartment zwölf Jahre später wieder zu Tage kamen und auf Columbia Records veröffentlicht wurden. Der Pianist Eugen Cicero (1940 – 1997) lebte seit 1992 in Zürich und gab mehrere Jahre hintereinander im November im dortigen Bernhard Theater Konzerte, zu denen er sich stets einen Gast einlud. 1992 war das Paul Kuhn (1928 – 2013). Eine Aufnahme des Konzerts auf einer Tonband-Cassette übergab Eugen Ciceros Freund Thomas Blaser dem Plattenproduzenten Frank Kleinschmidt (In+Out Records), der das Band zu anderen Cassetten in einen Karton legte und dort vergaß. Bis zur Wiederentdeckung vergingen diesmal fast drei Jahrzehnte. Pauls Witwe Ute Kuhn, die eine Kopie davon besaß, erinnerte daran. Kleinschmidt: »Ich kramte in meinem Archiv, fand die Original-Cassette und war total begeistert.« Sound-Experte Frank Schmidt sorgte tontechnisch dafür, dass die wundersame Auferstehung gelang.
In Berlin hatte Cicero von 1965 bis 1971 zunächst dem RIAS Tanzorchester angehört, dann hatte ihn Paul Kuhn, der dort die SFB Big Band leitete, zum Sender Freies Berlin geholt. Beide kannten sich also menschlich und musikalisch sehr genau, hörten und reagierten aufeinander, blieben aber in diesem Konzert ganz bei sich: Paul Kuhn mit einer schmiegsamen, ganz und gar »amerikanischen« Phrasierung, bei der jeder einzelne Ton swingt; Eugen Cicero mit dem harten Anschlag und der weiträumigen Dynamik eines klassischen Konzertpianisten, also eher »europäisch«, und mit einem etwas robusteren Swing. Bei Stereo-Abtastung springen die unterschiedlichen Spielweisen von Paul im linken und Eugen im rechten Kanal direkt ins Ohr und sind auch in der Mono-Version unüberhörbar.
Mit vielen Titeln seiner nicht weniger als 50 Langspielplatten hat Eugen Cicero seinen Markenkern bekundet: »Rokoko Jazz«, »Tschaikowsky«, »Schubert«, »Cicero's Chopin« und so fort. Als ihm Paul Kuhn im Bernhard Theater eine Solonummer überließ, wählte er seinen größten Hit: Chopins »Prelude in E Minor«. »Niemand kann Chopin gut genug spielen«, hatte er in einem seiner frühen Interviews erklärt, »aber ich fühle ihn.« Als Bonus Track hat Frank Kleinschmidt noch ein makelloses Solo von Paul Kuhn über »Bess, You Is My Woman Now« aus Gershwins »Porgy and Bess« hinzugefügt, das ein Torso geblieben war. Es muss einem guten Geist zu verdanken sein, dass Paul es vollenden konnte, bevor das Tonband zu Ende ging. Eugens anschließender Chorus ist nicht erhalten. Wie es bei Irving Berlin heißt: »The song is ended, but the melody lingers on.«
Quelle : jpc