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    Faey antwortete auf das Thema Der Teddy im goldenen Anzug in Geschichten
    Ich möchte mich hier gerne bei allen bedanken, die sich die Zeit genommen haben, die Geschichte zu lesen und einen Kommi dazulassen. Danke für eure Zeit und die lieben Worte, es freut mich sehr, wenn es gefallen hat. 
    Supi liebe Grüße an euch alle 
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    Warm und hell schien die Sonne durch die dicken Fensterscheiben, die daran geklebten Folienbilder malten ein buntes Mosaik auf dem grauen Boden. Der sanfte Duft von Putzmitteln hing in der Luft.  Zitronenfrische setzte sich gegen den Geruch des Desinfektionsmittels durch. Alles war sauber und ordentlich, ohne dabei steril und leblos zu wirken. Aus verborgenen Lautsprechern an der Decke drang leise Musik. Eine Frauenstimme sang ein Lied über den Frühling, davon, dass bald wieder die Blumen blühen würden. All das und noch mehr nahm Mara wahr, während sie sich an die Hand ihrer Mutter klammerte. Zusammen mit einer Frau, die sich ihnen als Schwester Martha vorgestellt hatte, liefen sie einen langen Gang entlang. Auf ihrem Weg passierten sie viele Türen. Man hatte sie bunt bemalt und mit Holzbuchstaben die Namen ihrer Bewohner daran geklebt.
    »Wie viele Kinder sind in einem Zimmer untergebracht?«, fragte Maras Mutter, dabei klang ihre Stimme müde und irgendwie dumpf.
    »In jedem der Zimmer schlafen sechs kleine Engelchen.  Aber bei Tag fliegen sie aus und dürfen sich hier frei bewegen.« Marthas Stimme klang nicht müde, obwohl sie älter war, wirkte sie energiegeladen.
    Mara hob zum ersten Mal den Blick. Sie wollte sich die Frau mit der fröhlichen Stimme genauer ansehen. Auf dem Kopf von Martha saß ein buntes Kopftuch, ein paar graue Strähnen lugten darunter hervor. Sie trug eine hellrosa Hose und dazu eine blaue Bluse. Über ihrer rechten Brust war eine rosa Schleife befestigt. Ihre Füße steckten in Gesundheitssandalen, an deren Schnallen Sonnenblumen befestigt waren. Hätte Mara sie beschreiben müssen, so hätte sie für sie das Wort  farbenfroh gewählt. Doch da niemand nach Maras Meinung fragte, schwieg sie lieber.
    »Du wirst hier schnell Freunde finden, dann könnt ihr den ganzen Tag über spielen und die Zeit vergeht wie im Flug«, wendete sich Martha nun tatsächlich an sie.
    Dabei lächelte sie freundlich. Um ihre braunen Augen bildeten sich Fältchen. Sie waren recht tief, ob sie wohl daher kamen, dass diese Frau oft lächelte? Wenn ja, woher kamen denn die Falten auf ihrer Stirn? Falten wie diese kannte Mara von ihrer Mutter und auch von ihrem Vater. Sie kamen zusammen mit einem Brief von Maras Arzt. Unerwartet und ungewollt flatterten sie vor einem Jahr in ihr Leben.
    Kurz nach Maras siebtem Geburtstag und seither war nichts mehr wie zuvor. In diesem Jahr war Mara kaum in der Schule gewesen. Dafür war sie bei vielen Ärzten gewesen, musste von einer weißen Praxis zur nächsten, von dort aus dann in Krankenhäuser. Immer wieder war sie von ihren Eltern getrennt worden. Tagsüber umgeben von fremden Erwachsenen und nachts ganz alleine in ihrem Bettchen. Die bloße Erinnerung daran brachte sie zum Zittern. Tränen brannten hinter ihren Augen, doch sie wollte nicht weinen, da sonst auch ihre Mutter wieder geweint hätte. Eine Hand strich behutsam über ihren Kopf. Vor wenigen Wochen hätte sie dort dichte blonde Locken gefunden, doch davon war nun nichts mehr zu sehen. Die Spritzen haben sie ausfallen lassen und jetzt wuchs dort nichts mehr.
    »Hab keine Angst, Mara, hier passen wir gut auf dich auf. Nicht nur auf deinen Körper, sondern auf dich.«
    Mara sah sie ungläubig an. Erwachsene versprechen vieles und doch hielten sie kaum eines dieser Versprechen. Wie sollten sie auch? Es gab Dinge, auf die sie keinen Einfluss nehmen konnten. Sie konnten nicht zaubern.
    »Du denkst, dass wir das nicht können. Da hast du recht. Doch unser Wächter kann es! Komm, ich zeige ihn dir.«
    Martha reckte ihr auffordernd die Hand entgegen. Zögerlich griff Mara danach. Konnte es sein, dass diese farbenfrohe Frau sie verstand? Die Hand der Schwester war kräftig und warm, ihr Griff dennoch sanft. Da gab es einen Ruck und Mara wurde einfach mitgezogen.


    Mara atmete schwer, so schnell war sie schon lange nicht mehr gelaufen. Ihre Eltern wollten nicht, dass sie sich verausgabte. Sie durfte kaum noch nach draußen, weder auf die Schaukel noch die Rutsche, ja noch nicht einmal in den Sandkasten.  Auch jetzt versuchte ihre Mama, sie zu ermahnen, doch Martha unterbrach sie, indem sie den Zeigefinger hob.
    »Hier haben wir keine Patienten. Wir haben Kinder, die eine lange Party feiern. Sie sollen toben und Spaß haben. Unser Wächter hat dabei immer ein Auge auf sie.«
    »Spaß?«, murmelte Mara leise.
    Zuvor hatte sie nie mit Ärzten oder Pflegern geredet. Sie sprachen immer nur mit ihren Eltern, fast so als sei sie selbst nur ein Geist. Bei Schwester Martha jedoch war das anders. Sie schien nur Augen für Mara zu haben und das war schön, gab ihr Mut. So viel sogar, dass sie den Klammergriff um die Hand ihrer Mama löste.
    »Ich möchte auch Spaß haben, bitte«, sprach sie weiter und sah dabei die Schwester an.
    »Den garantiere ich dir. Wir holen dir noch dein Mitgliedsband und dann gehts auch schon los.«
    Martha hielt sie immer noch an der Hand und führte sie in einen großen Saal. Tische und Sessel hatte man in einem großen Kreis aufgestellt, in dessen Zentrum ein weiterer Tisch stand. Dort waren Spiele aufgebaut, ein Turm aus Bausteinen stand daneben, Buntstifte und Papier lagen ebenfalls parat.
    »Hier treffen wir uns, um zusammen zu essen, aber auch um zu spielen. Jetzt ist es nur so ruhig, weil Mittagsruhe ist, sonst summt es wie in einem Bienenstock«, erklärte Martha.
    »Wildes Spielen ist gefährlich«, wiederholte Mara, was sie immer von ihren Eltern und Ärzten zu hören bekommen hatte.
    »Nicht, wenn er auf uns aufpasst.«
    Martha deutet in eine Ecke des Raumes. Mara folgte dem Fingerzeig und da sah sie ihn, den Wächter. Es war ein großer Teddybär in einem goldenen Anzug. Er saß auf einem Thron aus buntbemalten Eisstielen. Zusammen mit Martha trat sie näher, bemerkte die bronzene Glocke, die über ihm hing. Das Seil, um sie zu läuten, lag in einer seiner Tatzen.
    »Hallo Wächterteddy, ich möchte dir Mara vorstellen. Ich bitte dich, von heute an ganz besonders gut auf sie aufzupassen.« Martha verneigte sich vor dem Teddybären und wurde dann mäuschenstill. Kurz darauf sah sie wieder zu Mara. »Natürlich, wie konnte ich das nur vergessen?«, sie schlug sich gegen die Stirn und begann in ihrer Hosentasche zu wühlen. Sie zog ein goldenes Band aus Stoff daraus hervor und legte es Mara um das linke Armgelenk, um es dort zu verknoten. »Ist das mein Mitgliedsband?«, fragte sie und besah sich das Bändchen.
    Martha nickte. »Das ist hier Tradition. Bis zu dem Tag, an dem du die hier läutest«, sie deutete auf die Glocke über dem Wächterteddy.
    »Was wird dann aus dem Band?«, fragte Mara weiter. Das alles hier machte sie neugierig.
    »Das sind magische Bändchen. Sie sammeln Mut und Kraft durch ihre Träger. Kraft, die anderen fehlt, wenn sie hier herkommen. Sieh dir mal ganz genau den Anzug des Wächters an, dann siehst du, was geschieht, wenn ihr heim geht.«
    Mara kam der Aufforderung nach, trat näher an den Teddy heran, um sich seine Kleidung anzusehen. Tatsächlich bestanden sie aus unzähligen Bändchen. Man hatte die Hose, das Hemd und sogar die Weste daraus genäht.
    »Das sind ja viele«, staunte sie und strich behutsam darüber.
    Ganz plötzlich fühlte Mara sich leicht wie eine Feder. Wenn so viele Kinder wieder nachhause gegangen waren, dann würde auch sie irgendwann gehen können. Dann konnte sie endlich wieder ein Kind sein, draußen spielen und zur Schule gehen. Alles nachholen, was sie das letzte Jahr über verpasst hatte. Ihr Blick huschte zu ihrer Mama und zum ersten Mal seit langem schaffte sie es zu lächeln, ohne dabei ihre Angst verbergen zu müssen. In den Augen ihrer Mama schimmerten Tränen, sicher fürchtete sie sich, so wie alle Mamas, die ihre Kinder lieben. Sie griff nach der Hand ihrer Mama und legte sie auf die Brust des Teddys.
    »Hab keine Angst, Mama. Der Wächterteddy beschützt mich und ganz bald werde ich die Glocke läuten. Dann darf ich wieder nachhause und muss nie wieder fort.«
    Ihre Mama blinzelte die Tränen fort, drückte sie ganz fest an sich. »Ganz sicher«, schniefte sie. Mara fühlte sich glücklich. Ein Gefühl, das sie so lange vermisst hatte.


    Mara war schon einen ganzen Monat hier, Martha hatte Wort gehalten, sie hatte wirklich Freunde gefunden. Mit fünf von ihnen teilte sie sich sogar ein Zimmer, so war die Mittagsruhe nie wirklich ruhig. Tagsüber spielten sie miteinander und vor dem Zubettgehen erzählten sie sich oft Geschichten. Doch nicht nur die Kinder, auch Schwester Martha und ein Pfleger, oder wie er genannt werden wollte, Bruder Thomas. Ein großer Mann, mit breiten Schultern und einer Stimme tief wie das Brummen eines Bären. Anfangs hatte Mara Angst vor ihm. Das hatte sich schnell gelegt, nachdem er ihr und ihren Zimmergenossen Märchen vorgelesen hatte. Dabei hatte er jeder Figur eine eigene Stimme gegeben. Andreas, einer der älteren in ihrem Zimmer, hatte dabei so heftig gelacht, dass ihm die Milch aus der Nase geschossen war. Hier durften sie wirklich Kinder sein, auch wenn ihnen die Spritzen und Behandlungen nicht erspart blieben. So nahm man ihnen die Angst und schenkte ihnen eine schöne Zeit.  In dem Monat, den sie bereits hier verbracht hatte, hatten es schon vier Kinder geschafft, die Glocke zu läuten. Das gab Mara noch mehr Mut. Davon erzählte sie auch ihren Eltern, wenn sie zu Besuch kamen.  Damals dachte sie, sie seien einfach nur müde und hätten darum nicht die Kraft, so ausgelassen wie sie zu lachen. Andreas aber erzählte ihr eine andere Geschichte. 
    Es war kurz nachdem ihre Eltern sich verabschiedet hatten, um wieder nachhause zu fahren, als sie zusammen mit ihren Freunden in der Kissenburg saß, die sie zusammen mit Bruder Thomas gebaut hatten.
    »Deine Eltern sind nicht müde. Sie sind erwachsen und sie fürchten sich vor dem K-Monster in uns«, eröffnete Andreas und sah sie aus seinen wasserblauen Augen an. 
    »Was ist ein K-Monster?«, wollte sie wissen. 
    Er räusperte  sich und machte sich groß. Das tat er oft, vor allem dann, wenn er mal wieder darauf anspielte, dass er der Älteste unter ihnen war.
    »Das K-Monster ist in uns allen, darum sind wir hier und das hier«, er reckte seine Hand nach vorn, sodass alle einen Blick auf sein goldenes Band werfen konnten, »zeigt es jedem, der uns sieht. Darum sehen uns die Erwachsenen auch alle immer so mitleidig an. Das K-Monster macht uns schwach und müde. Um es loszuwerden, gibt man uns Spritzen und Medizin. Die Haare fallen uns aus, weil es das so will! Sicher baut es Nester daraus«, sprach er weiter.
    »Blödsinn, sonst hätte man die Nester sicher schon gefunden.« Marko, ein anderer Junge, schüttelte übertrieben den Kopf.
    Mindy hingegen, die neben ihm hockte, strich sich über die Glatze. Eine rote Narbe lief darüber. Man hatte sie vor einem Jahr dort operiert. »Sie haben es aus meinem Kopf geholt, aber trotzdem sind Babys vom K-Monster in mir drinnen, sicher wegen der Nester«, sagte sie und senkte den Blick.
    Andreas rutschte näher an sie heran und legte ihr einen Arm um die Schulter. Das war auch etwas, das er oft tat. Er tröstete die Kleineren und darin war er noch besser als im Geschichten erzählen.
    »Das K-Monster ist geschickt, aber die Ärzte hier sind noch viel geschickter. Der Wächterteddy hilft ihnen und auch uns. Nur weil sie das Monster so oft besiegen, kann er einen so schönen Anzug aus goldenen Bändern tragen.« Er hauchte ihr einen Kuss auf die wulstige Narbe. »Das ist dein erstes Anzeichen als seine mutige Kriegerin. Das K-Monster hast du besiegt, die anderen kriegst du auch noch klein«, versicherte er Mindy und entlockte ihr damit ein Lächeln.
    Mara biss sich auf die Lippen. Zum einen, weil sie wusste, warum Mindy rot wurde und zum anderen, weil auch sie bald ein solches Abzeichen tragen würde. Das K-Monster hatte sich in ihren Magen eingenistet und seine Babys schwammen in ihrem Blut. Was das bedeutete, wusste sie nicht wirklich, nur dass man ihren Bauch aufschneiden würde, hatte sie begriffen.  Ihre Eltern hatten versucht, es ihr zu erklären. Als ihnen die Worte gefehlt hatten, war Bruder Thomas ihnen zur Hilfe gekommen. Am Wächterteddy hatte er ihr gezeigt, wo man schneiden würde, ihr gesagt, dass sie die ganze Zeit über schlafen und träumen würde. Später war sie noch einmal zum Wächterteddy gegangen, hatte ihm gesagt, wie sehr sie sich davor fürchtet und ihn danach einfach in den Arm genommen.
    »Der Wächter wird auf uns alle aufpassen, er hat meine Angst weggezaubert. Wenn du willst, Mindy, gehen wir später zu ihm und er lässt auch deine Sorgen verschwinden«, sagte sie an ihre Freundin gewandt und lächelte ihr dabei entgegen. Mindy nickte und schmiegte sich dabei enger an Andreas.


    Nach den Geschichten über das K-Monster waren Mara und Mindy gleich zum Wächterteddy gegangen. Sie hatten sich an ihn gedrückt und ihm beide von ihren Ängsten erzählt. Sie hatten aber auch über ihre Träume von der Zukunft gesprochen, davon, was sie tun wollten, wenn das K-Monster sie endlich in Ruhe lassen würde. Mindy wollte wie Schwester Martha werden, mutig und liebevoll. Sie wollte alles, was sie erlebt hatte, mit anderen teilen, um ihnen zu zeigen, dass niemand alleine war, so wie Martha es auch tat. Die rosa Schleife der Schwester war auch ein Abzeichen. Martha hatte ihr eigenes K-Monster vor Jahren besiegt und beschlossen, anderen beim Kampf gegen ihre Monster zu helfen.
    »Schon damals war der Wächterteddy hier«, sagte Mindy und strich dem Teddy über das braune Fell. »Auch als Bruder Thomas als Patient hier war. Er hat mir auch gesagt, dass, wenn wir schlafen gehen, der Wächter aufwacht und von Zimmer zu Zimmer geht, um uns schöne Träume zu schenken.«
    »Wird er mir auch einen Traum schenken, wenn sie das K-Monster aus meinem Bauch holen?« Mara hatte diese Frage nicht stellen wollen, doch so dicht an den Teddy gedrückt, war sie ihr einfach über die Lippen geflossen. Die Angst davor, auch wenn sie sie nicht länger zum Weinen brachte, war dennoch immer noch da.
    »Natürlich wird er das. Er ist ein Wächterteddy, er beschützt uns immer. Wenn du danach aufwachst, wird es nicht mehr lange dauern und du darfst die Glocke läuten.«
    »Ich werde nachhause gehen. Wieder in meinem eigenen Zimmer schlafen. Mein Bändchen lasse ich hier bei ihm und irgendwann, wenn ich erwachsen bin - wenn wir alle erwachsen sind - treffen wir uns wieder«, spann Mara die Geschichte weiter und klammerte sich an die Tatze des Teddys. Das war eine schöne Vorstellung, davon wollte sie träumen, während man das K-Monster aus ihr schnitt. Sie und ihre Freunde, zusammen mit dem Wächterteddy, umringt von Kindern, vielleicht sogar ihre eigenen Kinder?  »Lieber Wächterteddy, ich bitte dich um einen schönen Traum von der Zukunft, wenn mein Monster aus meinem Bauch geschnitten wird. Lass uns alle wieder zurück nachhause gehen. Wir wollen erwachsen werden. Wir wollen uns nie vergessen und dich auch nicht. Wenn wir dann alle groß sind, kommen wir wieder. Wir besuchen dich und helfen dir dabei, auf andere aufzupassen.« Sie drückte sich ganz fest an den Teddy, genoss das warme Fell an ihren kalten Wangen und hoffte zugleich, dass Mindy die Tränen nicht gesehen hatte, die darüber gelaufen waren.


    Die folgenden Wochen vergingen wie im Flug. Immer wieder durfte Mara dabei sein, wenn eines der Kinder die Glocke läutete. Es war jedes Mal eine richtige kleine Zeremonie. Der erste Freund aus ihrem Zimmer, von dem sie sich verabschiedete, war Marko. Er trat an den Wächterbären, nahm sein goldenes Band ab und legte es um die Tatze des Bären, ehe er nach dem Seil der Glocke griff.  Mit einem breiten Lächeln bedankte er sich bei allen, die ihn bei seinem Kampf gegen das K-Monster begleitet hatten. Er sprach davon, was er sich von der Zukunft wünschte, ehe er sich auch bei dem Wächterteddy bedankte. Erst danach läutete er die Glocke. Mara wird den Klang des Glockenschlages nie wieder vergessen. So musste Hoffnung klingen!
    Auch Andreas und Mindy durfte sie verabschieden. Trotz der Trauer über ihren Fortgang freute Mara sich sehr für sie und auch über das Versprechen, welches sie sich gaben. Ihre Operation stand kurz bevor, doch danach wollten sie sich alle wieder sehen. Dann, wenn sie alle ihre Monster bezwungen hatten und endlich wieder Kinder sein durften.  Obwohl sie sich vor der Operation fürchtete, war da auch eine gewisse Vorfreude auf das, was sie danach erwartete. Nacht für Nacht träume sie davon, wie sie sich alle wieder sehen würden und wenn sie wegen all der Gedanken nicht richtig zur Ruhe kommen wollte, schlich sie sich zum Wächterteddy. Sie setzte sich auf den Boden neben ihn und erzählte ihm von allem, was sie so ruhelos machte. 
    Thomas fand sie eines Morgens neben dem Thron aus Eisstielen. »Hast wohl deinen Freund besucht?«
    Mehr hatte er nicht gesagt und sie danach einfach auf ihr Zimmer gebracht, sie in ihr Bett gelegt und zugedeckt. 
    Thomas war es auch, der sie zusammen mit Martha am Tag ihrer Operation begleitete. Bis in den Operationssaal, wo ihre Eltern leider nicht hin durften.  Zwischen all den langweilig gekleideten Ärzten fielen diese beiden auf wie Pfauen in einem Schwarm Saatkrähen.
    »Denk daran, wir alle warten auf dich. Wir haben dich sehr lieb«, sagte Martha, als sie ihr über die Hand streichelte, ganz vorsichtig, um nicht gegen die Nadel zu stoßen, die darin steckte.
    »Der Wächterteddy wird dir schöne Träume schenken, das hat er bei mir damals auch.« Thomas legte ihr eine Hand an die Wange.
    Mara konnte nicht anders, als ihn anzulächeln, auch wenn ihr ganz flau im Magen war. Diese Menschen, sie waren für sie zur Familie geworden, warum also sollten sie lügen? Ihr Blick heftete sich für eine Sekunde an das Ziffernblatt von Thomas Uhr. Der 14. Februar, Valentinstag, ihr Geburtstag. Über zwei Jahre seit das K-Monster ihr Leben auf den Kopf gestellt hatte. Bald würde sie schlafen, sie würde träumen und wenn sie erwachte, war es endlich vorbei. Aber bevor es so weit war, hatte sie noch etwas Wichtiges zu sagen! »Ich habe euch auch sehr lieb und wenn ich groß bin, will ich wie ihr werden.«
    Kurz darauf wurde es dunkel, die Medikamente wirkten und Mara glitt langsam in den Schlaf.


    Bis heute kann Mara sich nicht daran erinnern, was geschehen war. Auch Jahre später, nun, da sie selbst erwachsen ist, ist alles wie ein Wirbel aus Farben und Klängen. Nur eine kleine rote Narbe ist ihr geblieben. Zeigt ihr, wo die Ärzte einst das K-Monster gepackt und aus ihrem Bauch gezogen haben. Danach war sie endlich wieder ein Kind gewesen. Sie hatte draußen spielen dürfen, war wieder zur Schule gegangen und Jahr um Jahr gewachsen. Was sie jedoch nie vergessen hatte, war das Versprechen, welches sie und ihre Freunde sich gegeben hatten. Daran hatte sie immer festgehalten, sich vorgestellt, wie sie ihnen von ihren glücklichsten Zeiten erzählen würde, während sie zusammen vor dem Wächterteddy standen. Sie würden lachen und fröhlich sein, während sie Kindern davon erzählten, dass das K-Monster schrecklich, doch nicht unbesiegbar war. 
    Heute war es endlich so weit - 20 Jahre später. 
    Mit traumwandlerischer Sicherheit war sie durch die langen Gänge gewandert, hat Schwester Martha und Bruder Thomas umarmt, als sie sie gesehen hat. Sie hatten sich in all der Zeit nicht verändert. Dann war sie in den Speisesaal gegangen. Alles war wie damals, selbst das kleine Smiley, welches Andreas auf einem der Tische gekritzelt hatte, grinste immer noch frech vor sich hin. Ihre Schritte aber führen sie fort von den Tischen, hin zu der Ecke, in der immer noch der Wächter saß. Auch er hatte sich nicht verändert, sah ihr mit seinen glänzenden Glasaugen entgegen. »Schön, dich wiederzusehen«, begrüßte sie ihn und strich ihm dabei behutsam über das Fell.
    Wie seltsam es doch war, ihm gegenüberzustehen. Immer noch glaubte sie die Magie zu spüren, von der Martha und Thomas so oft erzählt hatten.  Ihr schien es so, als sei auch er gewachsen. Warum sonst sollte sie ihm auch immer noch in die Augen blicken können, ohne sich hinabzubeugen? »Hallo Mara! Schön, dass du hier bist«, war da eine Stimme zu hören.
    Angenehm und weich, dennoch kraftvoll, aber woher? Unsicher begann sie sich umzusehen, vielleicht erlaubte sich ja einer ihrer Freunde einen Scherz? Sicher Andreas, er war immer schon so gewesen!
    Wie er wohl jetzt aussah?
    »Lass das, komm raus. Ich bin kein Kind mehr, das sich so einfach erschrecken lässt.«
    »Das ist wahr, doch du warst immer schon mutig, selbst wenn du Angst hattest.« Ein Luftzug jagte ihr einen Schauer über den Rücken. »Du hast mutig gegen das K-Monster gekämpft. Alles, was ich tun konnte, war dir einen Traum zu schenken, hat er dir denn gefallen?«
    Mit einem Ruck fuhr Mara herum, blickte dem Wächterteddy geradewegs in die Augen. Er war von seinem Thron aufgestanden, sein Anzug aus Goldbändern raschelte leise, als er den Kopf zur Seite neigte.
    »Ich erinnere mich nicht mehr an den Traum«, gab sie zu, als sie den ersten Schrecken überwunden hatte. »Aber ich erinnere mich daran, dass ich immer zu dir gekommen bin, wenn ich traurig war oder Angst hatte. Dafür bin ich dir sehr dankbar«, sprach sie weiter und reckte dem Teddy die Hand entgegen. Aber was war das? Woher kam das Armband? Hatte sie es nicht bei ihrem Abschied abgenommen und die Glocke geläutet?
    »Hab keine Angst, Mara, ich passe auch weiterhin auf dich auf. Ich werde immer an deiner Seite sein.«
    Vor ihr erschien das Glockenseil, schwebte geisterhaft in der immer dichter werdenden Dunkelheit. »Es ist Zeit! Läute die Glocke und ich bringe dich nachhause.«
    Wie von selbst griff ihre Hand nach dem Seil. »Wird es weh tun?«
    »Nein, das lasse ich nicht zu. Ich beschütze euch, Kinder, das ist es doch, was Teddybären tun.«
    Aus seinen Worten schöpfte sie die Kraft, um an dem Seil zu ziehen. So oft hatte sie die Glocke gehört, sie immer mit einem Abschied verbunden und auch dieses Mal war ihr Klang ein Lebewohl.


    Mara war nie aus ihrem Traum erwacht. Sie hatte mutig gegen das K-Monster gekämpft, die Hoffnung auf einen Sieg nie aufgegeben. Doch anders als in Märchen siegt im Leben nicht immer das Gute. Maras Leben endete viel zu früh, es war von Angst und Verzicht geprägt, dennoch starb sie mit einem Lächeln auf den Lippen. Mit Liebe im Herzen, umfangen von einem schönen Traum, weich und sanft, wie das Fell des Teddybären, dem sie so oft von ihren Wünschen erzählt hatte, verließ sie diese Welt.  Am 15. Februar, dem Weltkinderkrebstag, forderte das K-Monster ein weiteres Leben.  Ihre goldene Schleife ziert dennoch den Anzug des Wächterteddys. Zusammen mit vielen anderen spendet sie jenen Mut, die sich im Angesicht des Monsters machtlos fühlen. Golden ist ihr Licht, welches jenen, die in der Dunkelheit der Verzweiflung umherirren, den Weg zur Hoffnung weisen.
    ****
    Krebs, so ist der schreckliche Name des K-Monsters. Es ist ein gieriges Biest, zehrt einen auf. Es kann jeden treffen, oft jahrelang unbemerkt in seinem Opfer nisten. Darum sorgt vor! Achtet auf euch und eure Liebsten. Wartet nicht darauf, dass ein Wächterteddy im goldenen Anzug ihnen den Weg aus der Dunkelheit weist. Lasst sie sich nicht an ein Wesen aus Stoff klammern, verlasst euch nicht darauf, dass sie ihre Tränen an einem Plüschbären trocknen. Seid füreinander da, auf dass niemand sich in einen Traum flüchten muss, um nicht an seiner Angst zu ersticken.
    Teddybären, so wundervoll sie auch sind, können echte Nähe nicht ersetzen.

    Danke an Fizzy für das schöne Cover.
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  •   möchen hat den Beitrag vor 4 Monaten mit 'Gefällt mir' markiert
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    Schneller als Licht 

    Einst, als die Welt noch voller Magie war, Märchen mehr waren als überlieferte Träume, lebte ein Mädchen, welches man Farrya rief. Zusammen mit ihren Eltern und ihrem älteren Bruder lebte sie auf einem kleinen Hof nahe dem Wald. Ihre Familie war nicht mit Reichtum gesegnet und doch mussten sie nie Hunger leiden. Sie nannten kleine Felder ihr Eigen, welche in jedem Jahr reiche Ernte trugen. Zwei Kühe hatten sie für die Milch und Hühner für Eier und Fleisch. Tag für Tag kümmerte Farrya sich mit ihrer Mutter um die Tiere und Felder, während ihr Vater und ihr Bruder in den Wald zogen, um Bäume zu fällen und Holz zu sammeln. Jede Woche beluden sie einen Wagen mit Gemüse, Obst und anderen Gütern, um damit ins nahegelegene Dorf zu fahren und sie auf dem Markt zu verkaufen. Ihre Familie führte ein einfaches, aber gutes Leben. Farrya war ein glückliches Kind und dennoch hatte sie stets das Gefühl, etwas würde fehlen.  Manch einer würde sie gierig nennen, weil das, was sie hatte, ihr nicht reichte. Doch ist es wirklich Gier, die einen zum Träumen verleitet und Wünsche in uns erweckt?
    Es verlangte Farrya nicht nach weltlichen Gütern, weder wollte sie Edelsteine noch schöne Kleider. Das einfache Leinenkleid, welches ihre Mutter ihr genäht hatte, reichte ihr völlig aus. Nach einer Krone verlangte sie auch nicht, viel lieber war ihr die Schleife aus grünem Samt, in der Farbe ihrer Augen, welche ihr Bruder ihr geschenkt hatte, weil sie so gut zu ihren fuchsroten Locken passte. Farrya wünschte sich etwas völlig anderes, etwas, das es mit Geld nicht zu kaufen gab. Die Magie des Lichtes war es, von der sie träumte. Ob bei Tag, wenn sie mit ihrer Mutter in den wärmenden Strahlen der Sonne badete und die Ernte einholte oder bei Nacht, wenn sie ihre Gebete zum Mond und den Sternen sandte. Licht war so viel mehr als ein Mittel gegen die Dunkelheit, welche die Menschen fürchteten.
    Farrya wollte alles darüber wissen, wollte begreifen, woher es kam, wohin es ging und was es auf seinem Weg berührte und veränderte.
    »Vater, ist die Sonne aus Feuer gemacht?«, fragte sie eines Abends, als sie mit ihrem Vater in der Stube saß und ihm beim Schnitzen zusah. Zwischen ihnen, nur ein Tischchen mit einer Kerze darauf, deren Flamme die Schatten an den Wänden tanzen ließ.
    »Ja, meine Kleine, darum können wir uns auch an ihr verbrennen, selbst wenn sie weit fort ist«, antwortete er sanft und geduldig wie immer, während seine kundigen Hände ein Stück Holz in einen Vogel verwandelten.
    »Wie bei einer Kerze?«
    »Gut erkannt. Die Kerze steht still, doch ihr Licht bewegt sich schneller, als unsere Augen ihm folgen könnten. Es vermag es, den ganzen Raum zu erfüllen, die Dunkelheit zu vertreiben und bringt die Schatten zum Tanzen. Kommen wir der Kerze jedoch zu nahe, verbrennen wir uns daran.«
    »Aber es ist doch das Feuer, welches uns verbrennt.«
    »Das Feuer verbrennt uns, doch das Licht lockt uns erst zur Flamme. Farrya, noch bist du ein Kind, hast den Kopf voller Träume, doch wenn du älter wirst, wirst du erkennen, dass es ohne Licht auch keine Schatten gibt. Alles auf der Welt hat seinen Preis, immer, selbst wenn wir es oft erst begreifen, wenn es zu spät ist.«
    In dieser Nacht hatte er den Vogel noch fertig geschnitzt, seine dünnen Flügel mit feinen Federn geschmückt, um ihn Farrya mit einem Lederband um den Hals zu legen als Glücksbringer. Er hatte sie in die Arme geschlossen, sie zu Bett gebracht und ihr noch einen Kuss auf die Stirn gehaucht, ihr eine Gute Nacht gewünscht. Am nächsten Morgen war ihr Vater nicht mehr erwacht. Sein Lebenslicht war erloschen, schneller, als ihre Augen ihm hatten folgen können.

    Während die Sonne langsam immer höher stieg, hob ihr Bruder ein Grab aus, ein Bett aus Erde, in welchem ihr Vater für immer ruhen durfte. Zu dritt trauerten sie um ihn, vergossen viele Tränen, welche die Erde tränkten und ihn dennoch nicht erwachen ließen.Er musste nicht lange alleine in seinem Bett aus Erde ruhen. Nur wenige Monate später trug es sich zu, dass die Mutter vom Markt heimkehrte, das Gesicht aschfahl und geschüttelt von Husten, der ihr den Schlaf raubte. Mit jedem Tag, der erwachte, schwanden ihre Kräfte, sodass sie bald kaum mehr war als ein Schatten ihrer selbst. Farrya wachte an ihrem Lager, kühlte ihr die Stirn und befeuchtete ihr die Lippen, tat alles, was in ihrer Macht stand, um die Leiden ihrer geliebten Mutter zu lindern. Nacht für Nacht entzündete sie Kerzen neben ihrem Nachtlager, hoffte, dass das Licht den Schatten des Todes fern hielte, welcher sich so gierig nach ihr streckte. Manchmal glaubte sie sogar, ihn am Fenster zu sehen, nur ein Huschen, doch nicht schneller als das Licht, sodass es ihn ein ums andere Mal vertrieb.
    Zwei Wochen kämpfte sie an der Seite ihrer Mutter gegen den Husten und das Fieber, doch diese Schlacht konnten sie nicht gewinnen. So kam es, dass ihre Mutter, die älter und weiser war als Farrya, nach der Hand des Mädchens griff, ihr über die Finger strich und ihr ein schwaches Lächeln schenkte. Mit einer Stimme trocken wie Herbstlaut sprach sie: »Meine geliebte Tochter, mein Körper ist schwach, mein Lebenslicht kaum mehr noch als ein Glimmen. Lösche die Kerzen, lass zu, dass die Schatten mich zu sich holen. Dein Vater erwartet mich bereits.«
    »Aber Mutter, wenn du in die Schatten gehst, wie soll das Licht deiner Kinder noch dein Herz erwärmen?«, fragte Farrya während Tränen ihre Augen füllten.
    »Sei unbesorgt, selbst in meinem Bett aus Erde werde ich die Dunkelheit nicht fürchten. Licht ist es nicht, was mich dort erreichen muss, schneller als Licht muss die Macht sein, die selbst der Tod nicht aufzuhalten vermag.«
    »Eine Macht schneller als das Licht?«
    »Gedanken, mein Kind. Solange dein Bruder und du uns nicht vergesst, werden dein Vater und ich nicht in der Dunkelheit verloren gehen.  Zu gerne würde ich auch deinen Bruder noch einmal sehen, doch ich fürchte, die Zeit ist nicht auf unserer Seite.«
    Husten schüttelte sie, ihr Griff um Farryas Hand schloss sich fester. Farrya beugte sich über sie, presste ihre Stirn gegen die ihrer Mutter.
    »Bitte geh nicht.«
    »Fürchte dich nicht, Farrya, nicht vor den Schatten, nicht vor der Nacht. Ohne sie könnte auch das Licht nicht sein.« Wieder ein Husten, trocken und rasselnd. »Ich liebe dich, mein Licht.«
    Diesen Worten folgte ein leises Seufzen; der letzte Atemzug ihrer geliebten Mutter brachte die Kerzenflammen zum Tanzen, ehe sie zusammen mit ihrem Lebenslicht erloschen.
    Einmal mehr hieß es für Farrya und ihren Bruder Abschied nehmen. Sie trugen ihre Mutter zu Grabe, betteten sie an der Seite ihres geliebten Mannes. 
    »Was das Leben eint, soll der Tod nicht scheiden«, sprach Farryas Bruder, als er die Erde über dem Grab festklopfte. 
    Mit diesem Satz verabschiedete er seine Eltern und auch mit eben diesem Satz verabschiedete er sich von nun an immer von Farrya. Sei es, wenn er in den Wald zog, um Holz zu hauen oder zum Markt ging, um Gemüse und Obst zu verkaufen. Die Geschwister hatten schwer zu schaffen, da ihre Eltern fort waren, mussten sie den Hof selbst erhalten. Bevor die Sonne sich morgens am Himmel zeigte, begann für sie die Arbeit. Farrya versorgte die Tiere, kümmerte sich um die Felder und den Haushalt. Erst wenn der Mond am Himmel stand, kam ihr Bruder von der Waldarbeit heim, schwer beladen und oft so müde, dass er kaum einen Bissen aß. So vergingen Wochen und Monate, in denen Farrya ihren Bruder und auch das Licht vermisste. Als sie die Kammer ihrer Eltern räumte, flossen viele Tränen, doch niemand war da, um sie zu trocknen.  Wie ein Schatten hing die Einsamkeit über ihr, verfolgte sie in jedem wachen Moment und selbst in ihren Träumen ließ er nicht von ihr ab. Sie versuchte, ihn zu vertreiben, entzündete Kerzen, sobald die Sonne sank, doch es half nichts. Manches Mal, wenn sie des Nachts erwachte, zum Fenster ihrer Kammer spähte, glaubte sie den Schatten dort stehen zu sehen. Nie näherte er sich ihr, verharrte starr und stumm, als würde er sie lediglich beobachten. Nur einen Herzschlag lange, ehe er wieder eins wurde mit der Nacht.
    Viermal schon hatte Farrya den Teller ihres Bruders fort geräumt, ohne dass er davon gegessen hatte. Viermal hatte sie Stunden am Fenster gestanden und hinaus in die Nacht geschaut, mit der Hoffnung, das Licht seiner Laterne am Waldrand zu erspähen. Mit diesem Licht ließ er sie sonst immer wissen, dass er es war, der sich dem Hof näherte. Das Licht war schneller als er, nur ihre Gedanken waren schneller, wenn sie ihm entgegeneilten, während sie selbst am Fenster verharrte, um ihn zu begrüßen. Am fünften Tag sank ihr Mut. Was, wenn er zu ihren Eltern gegangen war? Wenn sie ihn nie wieder sehen würde und von nun an ganz alleine war?
    Das Herz wurde ihr schwer in der Brust, als läge es in Eisen. Nachts konnte sie keine Ruhe finden und so tat sie etwas, das sie zuletzt als kleines Mädchen getan hatte. Sie schlich in die Kammer ihrer Eltern, doch ohne ihre Eltern war es nicht mehr als ein leeres Zimmer. Mit einem leisen Seufzen setzte Farrya sich auf das verwaiste Nachtlager, nur um sogleich erschrocken aufzuspringen. Unter dem Laken war etwas! Sie zog den groben Stoff zur Seite und entdeckte das Buch, das darunter verborgen lag. Warum fand sie es erst jetzt? Als sie die Kammer zuletzt betreten hatte, war es sicher noch nicht hier gewesen. Oder hatte die Trauer sie nur unachtsam gemacht? Ihr Vater hatte ihnen früher oft vorgelesen, auch dafür gesorgt, dass seine Kinder lesen lernten, sicher war es eines seiner Bücher. Farrya holte eine Kerze aus dem Nachttisch, steckte sie in den Kerzenhalter und entzündete sie mit einem Schwefelholz. Sie setzte sich, legte das Buch in ihren Schoß und schlug es auf. »Lichtläufer« stand auf der ersten Seite zu lesen. Dies musste wohl der Name des Märchens sein. Farrya blätterte zur nächsten Seite und begann zu lesen.

     Farrya war eingeschlafen. Mit dem Buch in der Hand, im schwachen Schein einer beinahe heruntergebrannten Kerze, erwachte sie wieder. Noch ehe sie die Augen öffnete, wusste sie, dass sie nicht länger alleine in der Kammer war. Mit bangem Herzen zwang sie sich, die Augen zu öffnen, wie von selbst wanderte ihr Blick zum Fenster und da war er, der Schatten. 
    »Wie ich sehe, hast du mein Buch gefunden«, erklang eine sanfte Stimme.  Und noch ehe sie etwas hätte antworten können, trat der Schatten neben das Bett. 
    »Wer bist du?«, brachte sie mühsam hervor.
    »Entzünde eine deiner Kerzen und sieh selbst.«
    Farrya zögerte doch, als der Schatten sich nicht regte, holte sie eine neue Kerze hervor, doch ihre Finger zitterten so sehr, dass es ihr nicht gelingen wollte, ein Schwefelholz anzureißen. 
    »Fürchte dich nicht, Farrya, nicht vor mir.«
    Den Worten folgte ein leises Knistern und ein kleines blaues Flämmchen setzte sich auf den Docht der Kerze. Blaues Licht erfüllte den Raum, hüllte auch den Schatten ein, der nun vor Farrya zurücktrat. Magie! Farryas Neugier meldete sich, siegte über die Furcht.
    »Bist du ein Magier?« Ihr Blick heftete sich an den Schatten.
    »Ich bin alles und zugleich auch nichts«, begann dieser und verneigte sich sacht. »Doch, was bin ich für dich, Farrya?«, vollendet er seinen Satz.
    »Du bist ein Schatten.«
    »Nicht mehr?« Er richtete sich auf und breitete die Arme etwas zur Seite, schien selbst erst jetzt zu bemerken, dass er nur ein Schatten war. »Wie ärgerlich und ungeschickt von mir. Verzeih, ich zeige mich so selten, da habe ich vergessen, die Nacht abzulegen.« Er lachte leise, ein Laut so hell und klingend, dass er wahrlich nicht zu einem Schatten passte. 
    »Wärst du so gut, Farrya, lass das Flämmchen für mich tanzen?«, er deutet zu der Kerze.
    Farrya zögerte kaum, einen Lidschlag lang, zu fasziniert war sie, von diesem seltsamen Wesen, als dass sie ihm etwas hätte abschlagen können. Behutsam tippte sie gegen die Kerze und brachte das blaue Feuer zum Zucken. 
    »So ist es gut«, lobte der Schatten und begann zugleich, sich mit dem Feuer zu wiegen wie im Tanz. »Das Licht ist schnell, doch deine Gedanken müssen schneller sein, Farrya, nur so kann ich die Nacht ablegen.«
    Er war immer noch ein tanzender Schatten im Licht und doch war er auch mehr, er war ein...
    »Schattentänzer?«, entfuhr es Farrya und mit dem Wort kam die Veränderung. Ein leises Rauschen wie von Wind, der durch die Blätter streicht, begleitet vom klaren Duft frisch gefallenen Schnees, erfüllte die Kammer. »Du bist ein Schattentänzer«, wiederholte Farrya erneut und die Nacht fiel von dem Wesen ab.
    Eine letzte Drehung und sein Tanz endete, er verneigte sich erneut und als er dieses Mal den Blick hob, stockte Farrya der Atem. Wo zuvor nur Dunkelheit gewesen war, war nun ein Gesicht zu sehen. Menschlich und doch auch wieder nicht, ebenmäßig wie von einem Künstler erschaffen. Die Haut weiß wie Schnee, Augen silbrig wie der Mond, umgeben von einem dunklen Wimpernkranz. 
    »Schön, dass du mich endlich erkannt hast. Nun fürchtest du mich sicherlich nicht mehr, oder?«
    So wie er jetzt vor ihr stand, hatte er wahrlich nichts Erschreckendes mehr an sich.  Zierlich und dünn, der dunkle Umhang sah aus, als sitze er zu locker, die Stiefel, die darunter hervorblitzten, waren schief geknöpft. Dazu noch der Blick, den er ihr zuwarf, wie der eines Welpen, der um Futter bettelte.
    »Nein, ich fürchte dich nicht.«
    Ein Lächeln huschte über die Lippen des Schattentänzers. Farrya rutschte an die Bettkante, beugte sich etwas nach vor, um ihren Gast besser betrachten zu können, ehe sie fragte: »Warst du der Schatten, der nach Mutters Tod bei mir erschien?«
    »Ja. Jede Nacht habe ich über dich gewacht, so wie auch du über deine Mutter wachtest. Aus all den Lichtern, die du für sie entzündet hast, formte sich meine Gestalt.«
    Wie zum Beweis seiner Existenz drehte er sich einmal um die eigene Achse und knickste vor ihr.
    »Wo warst du davor? Und warum bist du jetzt hier?«
    »Ich bin ein Tänzer, reglos zu verharren liegt nicht in meiner Natur. Meine letzte große Vorstellung gab ich im nahen Dorf, dort traf ich auf deine Eltern. So gesehen bin ich hier, weil ich ihrer Einladung folgte. Und nun«, er klatschte in die Hände und kam tänzelnd auf sie zu, »sollten wir unsere Zeit nicht mit Worten vergeuden. Hast du nicht einen Traum, den du verfolgen willst?«, beendet er seinen Satz und sah sie abwartend an.
    Farrya hatte nur einen Traum, sie wollte das Licht begreifen, seine Magie verstehen, doch wie sollte genau ein Schatten ihr dabei helfen? 
    »Ah, ich sehe, du fragst dich sicherlich, wie ein Schattentänzer dich zum Licht führen soll. Nun, die Antwort liegt so nahe, dass dein Blick wohl über sie hinweg geht. Lass mich dich erleuchten.« Seine Hand legte sich auf das Buch, welches neben Farrya lag. »Wer, wenn nicht ein Schattentänzer, sollte wissen, wo der Lichtläufer sich verbirgt.«
    »Es gibt ihn wirklich?«
    »Er ist eben so echt, wie ich es bin.« Er nahm das Buch an sich, schlug es auf und blätterte durch die Seiten, begann daraus vorzulesen: »Weit ab von Zeit und Raum, unberührt von Tod und Traum, am Ende der Zeit, am Beginn der Ewigkeit, wo die Realität sich wie Wellen bricht, erwartet er die Mutigen, badet sie in seinem Licht.« Er klappte das Buch wieder zu, schob es unter seinen Umhang.»Bist du denn mutig, Farrya?«
    Sein Blick traf den ihren, das Silber seiner Augen schien zu erstrahlen, ihr direkt in die Seele zu blicken. 
    »Was wird aus meinem Bruder? Wenn ich nicht hier bin, dann …«
    »Auch für deinen Bruder habe ich schon getanzt, ich kenne ihn gut und weiß, dass er, sobald nicht heimkehren wird. Doch triffst du auf den Lichtläufer, erhältst seinen Segen, so kannst du schneller als das Licht an die Seite deiner Liebsten eilen«, unterbrach er sie sanft und dennoch bestimmt. »Alles hat seinen Preis, immer. Es ist an dir, dich zu entscheiden. Warte hier, bis auch dein Licht vergeht und du zu einem Schatten wirst oder«, er verneigte sich, bot ihr die Linke zum Handschlag, »tanz mit den Schatten, um im Licht zu baden.«
    Wie von selbst griff Farrya nach der dargebotenen Hand, zu verlockend war das Angebot. Mit einem Ruck zog der Schattentänzer sie zu sich und noch ehe sie wusste, wie ihr geschah, drehte er sich mit ihr im Kreis.
    »Dann lass uns tanzen, schnell und immer schneller, bis die Welt um uns herum verwischt. Ich verspreche dir Farrya, ich werde über dich wachen, dafür sorgen, dass deine Schritte nicht fehlgehen, damit deine Träume sich erfüllen.«

    Noch in derselben Nacht waren sie aufgebrochen, noch lange, bevor die Sonne sich am Himmel zeigte. Bis auf die Kleider am Leib, einen halben Laib Brot und einen Lederschlauch mit Wasser hatte Farrya nichts mit sich genommen. Der Schattentänzer hatte ihr sein Wort gegeben, dass ihr an seiner Seite an nichts fehlen würde. Alles, was er als Gegenleistung verlangte, war, dass sie jeden Schritt der Reise genoss, mit offenen Augen durch die Welt zog und Erfahrungen sammelte. Sie hatte ihn beim Verlassen des Hofes gefragt, ob alle Schattentänzer so seien wie er. Zur Antwort hatte er ihr nur ein unergründliches Lächeln geschenkt, sie an der Hand genommen und in den Wald geführt. Wie groß der Wald war, begriff Farrya erst, als sie selbst zwischen den gewaltigen Baumriesen umherwandelte. Ihr Vater und ihr Bruder hatten oft von ihrer Arbeit erzählt, doch sie hatte sie nie begleiten dürfen, da in den Schatten Tiere und auch Räuber lauerten. Anfangs war sie daher bei jedem Rascheln erschrocken zusammengezuckt, die ersten zwei Tage ihrer Wanderung hatte sie in ständiger Angst vor Überfällen verbracht. Am dritten Tag jedoch wurde sie schon mutiger. Zu Mittag, die Sonne stand direkt über dem Wald, begann sie Blumen am Wegesrand zu pflücken, knüpfte sich eine Krone daraus und setzte sie sich aufs Haar.
    »Sieh nur wie schön«, freute sie sich und suchte mit den Augen in den Schatten nach ihrem Begleiter.  Zwischen zwei morschen Stämmen wurde sie fündig, er hatte sich dort im Gras niedergelassen und auf sie gewartet, so wie er es immer tat, wenn sie ausruhte.
    »Waren sie im Leben nicht schön genug?«, fragte er mit leiser Stimme. »Eben erst waren sie erblüht, ihre Zeit noch nicht gekommen und dennoch endete es, ehe es begann.«
    Bei diesen Worten erhob er sich, reckte Farrya die Hand entgegen, die Linke wie damals, als er sie zum Tanz gefordert hatte. »Menschen, sie alle lieben das Leben und fürchten den Tod, so wie sie auch das Licht herbeisehnen, um die Dunkelheit zu vertreiben. Und doch sind oft sie es, die den Tod zu anderen bringen.«
    Da begriff Farrya, was er meinte, woher die Trauer in seiner Stimme gekommen war. Plötzlich wog die Blumenkrone auf ihrem Kopf schwer wie ein Mühlstein, sie griff danach, zog sie sich vom Kopf und wollte sie von sich werfen.
    »Halt! Du wolltest mutig sein, dann habe auch den Mut, zu deinen Fehlern zu stehen und aus ihnen zu lernen. Lass deine Gedanken das nächste Mal schneller als das Licht und schneller als dein Handeln sein.«
    Sie seufzte, trat auf den Schatten zu und hielt ihm die Krone hin. 
    »Du solltest sie tragen, damit ich sie immer vor Augen habe.«
    Sie schämte sich, sehr sogar, ihr unbedachtes Handeln hatte den Blumen den Tod beschert und ohne die Worte des Schattentänzers hätte sie nie auch nur einen Gedanken darauf verschwendet. Er strich sacht über die Blüten, nahm die Krone an sich, nur um sie ihr wieder aufs Haar zu setzen. 
    »Du trägst ihr Licht und ich ihre Schatten, damit wir beide nicht vergessen, wie kostbar das Leben ist«, sprach er versöhnlich und als sie den Blick hob, sah sie, dass er den Schattenzwilling ihrer Krone auf dem Haupt trug. Wie in der ersten Nacht griff er daraufhin ihre Hand und führte sie ohne ein weiteres Wort, tiefer in den Wald.

     Farrya hatte es aufgegeben, die Tage zu zählen, die sie mit dem Schattentänzer durch den Wald zog. Er zeigte sich kaum, doch wann immer sie nach ihm rief, antwortete er ihr, tanzte für sie durch die Schatten. Nachts setzte er sich zu ihr, wachte über ihren Schlaf. Er hielt sein Versprechen, sorgte dafür, dass es ihr an nichts fehlte. Dennoch fühlte sie sich einsam. Sie vermisste ihre Familie.
    »Sind wir bald da?«, fragte sie eines Morgens und bemerkte selbst, wie ungehalten ihre Stimme klang.
    »Nur einen Gedanken weit fort«, erklang die Antwort zwischen den Stämmen; sie wollte eben etwas erwidern, als die Baumreihen sich lichteten und sie sich vor einer Höhle wiederfand.
    »Ist er dort drinnen?«, sie deutet auf den Eingang, der wie das offene Maul einer Bestie im Stein klaffte.
    »Ja, er erwartet dich bereits.« Der Schattentänzer löste sich aus den Schatten und erschien an ihrer Seite. »Bist du bereit, den Preis für die Erfüllung deines Traumes zu bezahlen?«, fragte er und richtete seinen Blick auf sie. Zur Antwort ging sie an ihm vorüber und betrat die Höhle.  
    Dunkelheit empfing sie, schwarz wie Tinte. Angst machte ihr das Herz schwer, wie in den Tagen zuvor, rief sie nach dem Schattentänzer, wartete vergebens auf Antwort. Hatte nun auch er sie verlassen? Ein Schluchzen entrang sich ihrer Kehle und sie sank zu Boden, umschlang ihre Knie mit den Armen.
    »Auf der Suche nach dem Licht habe ich selbst meinen Schatten verloren«, wimmerte sie, Tränen rollten über ihre Wangen. Sie tropften zu Boden und wo sie auf die Dunkelheit trafen, begannen Sterne zu funkeln. So lange hatte Farrya sie zurückgehalten.
    »Jetzt, da die Sterne erwachen, du das Licht befreist, bist du bereit noch einmal mutig zu sein?«, flüsterte es neben ihr und sie spürte eine sanfte Berührung im Haar. »Lass deine Gedanken ziehen, schneller als das Licht. Reich mir die Hand für einen letzten Tanz.«
    Er war wieder da, tauchte aus der Dunkelheit auf und verneigte sich vor ihr, wie einst in der Kammer ihrer Eltern. Die Linke reckte er ihr entgegen, mit der Rechten schlug er seinen Umhang beiseite. Da war es, das Licht, nach dem sie so lange gesucht hatte, verborgen unter seinem Schattenmantel.
    Sie griff nach seiner Hand, ließ sich von ihm in die Höhe ziehen und warf sich ihm in die Arme. Sie tanzten den letzten Tanz, während um sie herum Sterne in der Dunkelheit erwachten. Schnell und immer schneller drehten sie sich, Farrya hatte die Augen geschossen, ließ sich einfach mitreißen, während die Lichter hinter ihren geschlossenen Lidern Bilder für sie malten. Ihre Gedanken gingen auf die Reise, flogen durch Raum und Zeit und kannten doch nur ein Ziel. Ihre Familie. Das Bildnis ihrer Liebsten, geschaffen aus Licht, von ihren Gedanken geformt. Ihre Mutter erwartete sie mit offenen Armen, an ihrer Seite standen ihr Vater und ihr Bruder. Farrya war nicht schneller als das Licht, doch sie strahlte vor Freude heller als die Sonne. Ihr letzter Augenblick, ehe auch sie zu einer Erinnerung wurde, war einer der glücklichsten ihres Lebens.  

    Mit einem leisen Laut schloss er das Buch, Stille erfüllte die Kammer. Behutsam strich er eine fuchsrote Strähne aus Farryas Stirn. Ihr Herz hatte seinen letzten Schlag getan, ihre Seele war in die Endlichkeit gezogen. Nie würde er sie vergessen, so wie er nie jemanden vergaß, mit dem er tanzte.
    »Dank dir konnte sie mit einem Lächeln gehen.«
    »Ich ließ sie nur träumen, du warst es, der ihr ein Lächeln schenkte«, antwortete eine leise Stimme vom Fuße des Bettes, der Schlaf war noch nicht wieder hinaus in die Nacht gezogen.
    »Die Menschen fürchten den Tod«, erwiderte er matt. Der Fluch der Ewigkeit, welcher nur aus Abschieden zu bestehen schien.
    »Weil sie nicht begreifen, dass nicht du es bist, der sie leiden lässt. Du bist es, der sie alle gleich macht, sie alle empfängt, wenn das Leben ihnen den Rücken kehrt. Ich weiß es und daher werde ich dich niemals fürchten«, sprach der Schlaf und entlockte dem Tod ein sachtes Lächeln. 
    Schneller als das Licht, so sind die Gedanken und auch die Träume, welche ihnen entspringen, aber auch der Tod, der wie ein Schatten um das Leben tanzt. 
     
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