"Über den Undank der Welt" - modernisierte Fassung
Ein Bauer war unterwegs in die nächste Stadt, um seine Waren zu verkaufen. Weil seine Last so schwer war, legte er eine Pause an einem Felsen ein. In diesem Felsen steckte eine große Schlange fest. Als sie den Bauern sah, bat sie ihn inständig: "Bitte hilf mir! Ich stecke fest und komme wegen des schweren Steins nicht heraus."
"Und was bekomme ich dafür?", fragte der Bauer.
"Ich werde dich so belohnen, wie es in dieser Welt üblich ist", antwortete die Schlange.
"Na gut", sagte der Bauer und rollte den Stein weg. Die Schlange war frei. Doch kaum war sie in Freiheit, wollte sie den Bauern angreifen.
"He!", rief der Bauer. "Soll das mein Dank sein? Ist das der Dank der Welt?"
"Ja", sagte die Schlange. "Die Menschen vergelten Gutes oft mit Bösem, und das habe ich dir versprochen."
"Weißt du was?", sagte der Bauer. "Ich bin ein einfacher Mann und kenne mich mit solchen Dingen nicht aus. Lass uns andere fragen, was sie davon halten. Wenn ich im Unrecht bin, bin ich bereit, zu sterben."
Also gingen die beiden weiter und trafen auf ein altes, abgemagertes Pferd, das auf einem kargen Feld graste. "Warum bist du so allein hier draußen?", fragte der Bauer. "Warum bist du nicht im Stall, wo du gutes Futter bekommst?"
"Ach", seufzte das Pferd. "So ist das nun mal. Ich habe dreißig Jahre lang meinem Herrn gedient, dem dieses Schloss dort gehört. Ich habe ihn sogar im Krieg gerettet. Aber jetzt, wo ich alt und schwach bin, hat er mich verstoßen."
"Siehst du?", sagte die Schlange. "So ist die Welt!"
"Warte", sagte der Bauer. "Wir brauchen noch eine zweite Meinung."
Sie gingen weiter und trafen einen Hund, der an einen Zaun gefesselt war. "Warum siehst du so traurig aus?", fragte der Bauer.
"Ich habe meinem Herrn mein ganzes Leben lang treu gedient", jammerte der Hund. "Ich habe ihn vor Dieben beschützt und ihm bei der Jagd geholfen. Aber jetzt, wo ich alt bin, will er mich erschießen lassen."
"Jetzt reicht es aber!", sagte die Schlange. "Jetzt ist es an der Zeit, dich zu fressen!"
"Noch nicht so schnell", sagte der Bauer. "Wir brauchen noch eine dritte Meinung."
Da kam ein Fuchs vorbei und bot an, den Streit zu schlichten. Er nahm den Bauern beiseite und fragte, ob er Hühner hätte. "Wenn du mich rettest, bekommst du alle meine Hühner", versprach der Bauer.
Der Fuchs überlegte und sagte dann: "Um sicherzugehen, dass alles mit rechten Dingen zugeht, müssen wir uns das Ganze noch einmal ansehen."
Also gingen sie zurück zum Felsen. Der Fuchs schüttelte den Kopf. "Ich kann mir nicht vorstellen, dass diese große Schlange in diesem kleinen Loch stecken konnte", sagte er. "Zeig mir mal, wie du da reingekommen bist."
Die Schlange kroch in das Loch, und der Bauer rollte den Stein wieder davor. "So, so", sagte der Fuchs. "Wenn das so war, dann soll es auch so bleiben."
So war der Bauer gerettet. Er versprach dem Fuchs, ihm am nächsten Morgen ein Hühneressen zu geben.
Als der Bauer nach Hause kam, war seine Frau wütend, weil er so spät dran war. Er erzählte ihr von seinen Abenteuern und von dem Fuchs, dem er alle Hühner versprochen hatte. "Was?", schrie die Frau. "Meine Hühner? Niemals!"
Am nächsten Morgen kam der Fuchs, um sein Hühneressen abzuholen. Aber die Bäuerin erschlug ihn mit einem Holzscheit. Der Fuchs starb und beklagte die Undankbarkeit der Welt.
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