• Das Gewusel in dieser von Neonlicht erhellten Halle war wie in einem Ameisenhaufen. Das unverständliche Stimmenwirrwarr um sie herum war symptomatisch für die Situation, in der sie sich befand. Es war auffallend warm hier und die glänzenden Fliesen, die das kalte Licht reflektierten, ließen alles in einem unwirklichen Glanz erstrahlen. Sie spürte unter ihren nackten Füßen auch keine Kälte des Bodens. Auch von ihm strömte eine wohlige Wärme aus, als ob er beheizt wäre. Ständig liefen Leute an ihr vorbei und alle hatten eines gemeinsam: Ihr Gesicht war nicht zu erkennen. Als ob sie anonymisiert wurden. Man erkannte, wo das Gesicht sein sollte, aber der Rest waren diffuse Schleier. Sie sah an sich herunter, sah das alte Nachthemd, das völlig verdreckt und durch den Sturz und die Trümmerteile an ein paar Stellen eingerissen und dadurch löchrig war. Die Menschen – zumindest dachte sie, es seien Menschen – waren alle in Anzug oder Kostüm gekleidet. Viel zu fein, als dass sie mit diesem Fetzen am Leib hier her passen würde, jedoch schien niemand daran Anstoss zu finden. Ab und zu wurde sie an der Schulter ein bisschen zur Seite geschoben, damit wieder eine Person an ihr vorbeirennen konnte, aber weder sprach man mit ihr, noch schien man sie zu beachten.
    Der schrillende Klang einer Sirene durchschnitt plötzlich den Raum. Die Schwarzhaarige zuckte zusammen und blickte sich angsterfüllt um, aber eine Panik oder dergleichen, was sie aufgrund dieses Alarms erwartet hatte, gab es nicht. Die Wartenden falteten ihre Zeitungen zusammen, standen von den Sitzbänken auf und gingen gemütlich in ein und dieselbe Richtung.
    „Entschuldigen Sie“, sagte die Frau im Nachthemd zu einem der Vorbeieilenden, den sie am Arm packte und so stoppen wollte, „können Sie mir sagen, wo ich hier bin?“
    Doch der Mann entwand sich ihrem Griff und eilte hektisch zu einer der Rezeptionen ohne sie auch nur eines Blickes zu würdigen. Das gleiche wiederholte sich noch ein paar Mal, egal ob es ein Mann oder eine Frau war. Plötzlich blitzte aus der Richtung, in die die vorhin Wartenden gemeinsam liefen, ein rotes Licht auf, das die gesamte Halle erfasste. Für ein paar Momente war alles still. Totenstill. Das rote Leuchten wurde wieder zu dem kalten Weiß der Neonlampen und die Kakophonie der Rezeptionen und der Menschen davor war wieder zu hören.
    „Was ist das hier? Warum bin ich hier?“, fragte sie sich selbst und ließ sich auf einen freien Platz der Wartebänke fallen, senkte den Kopf in die Hände und begann vor Verzweiflung zu weinen.
    „Kann ich Ihnen helfen?“, fragte eine männliche Stimme.
    Sie schaute auf und erkannte einen dünnen Mann, der sie aus graugrünen Augen musterte. Er hatte ein Gesicht! Ihre braunen Augen leuchteten kurz auf. Das erste Mal seit ihrem Erwachen im Wald, nimmt jemand von ihr Notiz. Jemand, der ein Gesicht hat und der mit ihr spricht. Sie stand auf und reichte ihm die Hand.
    „Sagen Sie mir bitte, wo ich hier bin? Was ist das für eine Halle und was hat das alles zu bedeuten?“, sagte sie schnell aber gefestigt zu ihm.
    Doch der Mann lächelte nur und schaute sie an, ohne weiter etwas zu erwähnen oder zu tun. Er stand einfach nur da.


    Fortsetzung folgt...
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