Onkel Karl
Am nächsten Morgen herrschte geschäftiges Treiben im Haus. Die Sonne lugte zaghaft über den Horizont, als Mias Eltern sie nach dem Frühstück zum Bahnhof fuhren. Im Auto herrschte eine seltsame Stille, als ob sich jeder in seine Gedanken vertiefte. Mia saß auf dem Rücksitz, die Hände im Schoß gefaltet, während ihre Eltern gelegentlich verstohlene Blicke in den Rückspiegel warfen. Ihre Entschlossenheit war spürbar, sie lag wie ein unsichtbares Gewicht in der Luft. Am Bahnsteig angekommen, drückten ihre Eltern sie fest an sich. Für einen Moment schien die Zeit stillzustehen. Ihre Mutter strich ihr sanft über das Haar, und ihr Vater blinzelte, als hätte er etwas im Auge, das sicher nicht die Morgensonne war. „Bist du sicher, dass du alleine fahren willst?", fragte ihre Mutter zum wiederholten Mal. Ihre Stimme war voller Sorge, aber auch gemischt mit einem Funken Stolz. Mia lächelte – jenes kluge Lächeln, das schon oft Erwachsene zum Staunen gebracht hatte. „Mama, ich habe die Zugverbindungen überprüft, kenne den Fahrplan auswendig und mein Handy ist aufgeladen. Ich schaffe das." Ihr Vater beugte sich zu ihr herunter, seine Augen funkelten vor Belustigung. „Unser Küken verlässt das Nest. Die kleine Mia wird langsam zur jungen Dame." Mia verdrehte die Augen und grinste. „Papa, ich bin keine kleine Mia mehr. Und außerdem... wer weiß, vielleicht komme ich als Raketenwissenschaftlerin zurück." Er lachte und strich ihr durchs Haar. „Das bezweifle ich keine Sekunde." Mit einem letzten festen Druck ließ Mia ihre Eltern los und stieg in den Zug. Sie setzte sich ans Fenster, und als sich der Zug in Bewegung setzte, winkte sie fröhlich hinaus. Ihre Eltern standen noch immer auf dem Bahnsteig, immer kleiner werdend, aber unverkennbar erfüllt von einem Stolz, der wie eine warme Decke über allem lag.
Die achtstündige Bahnfahrt war endlich vorüber, und Mia hatte die Strecke mit Bravour gemeistert. Sie hatte nur einmal umsteigen müssen, was für sie kein Problem darstellte. Dank ihrer akribischen Planung und genauen Vorbereitung war sie während der gesamten Fahrt entspannt geblieben. Während andere Passagiere gelegentlich hektisch ihre Tickets kontrollierten oder nervös nach dem nächsten Anschluss suchten, bewahrte Mia stets die Ruhe. Sie wusste genau, wann sie aussteigen musste, und hatte sogar noch Zeit, sich zwischendurch einem komplizierten mathematischen Rätsel zu widmen, das sie schon seit Tagen beschäftigte. Als der Zug langsam in den Zielbahnhof einrollte, spürte Mia eine aufgeregte Spannung in der Luft. Der kleine, verschlafene Bahnhof war typisch für eine Kleinstadt – ruhig, fast idyllisch, mit nur wenigen Menschen, die über den Bahnsteig schlenderten. Durch das Zugfenster erblickte Mia bereits ihren Onkel Karl, der mit seiner gewohnt lässigen Haltung auf sie wartete. Er lehnte an einem der alten Bahnhofspfeiler, die Hände tief in den Taschen vergraben, und ein breites Lächeln zog sich über sein Gesicht, als er Mia entdeckte. Der Zug kam zum Stillstand, und die Türen glitten mit einem leisen Zischen auf. Mia hob entschlossen ihre Koffer vom Gepäckträger und trat auf den Bahnsteig hinaus. Die frische Luft der Kleinstadt begrüßte sie, und sie fühlte sich sofort angekommen. Mit festen Schritten ging sie auf ihren Onkel zu, der ihr lächelnd entgegenkam. „Hallo, Onkel Karl!", rief sie mit einer Mischung aus Freude und Selbstbewusstsein. Sie hatte ihn schon lange nicht mehr gesehen, aber die vertraute Wärme zwischen ihnen war sofort wieder da. Onkel Karl grinste breit, seine Augen funkelten vor Stolz und Belustigung. „Na, schau mal einer an, Mia! Du bist ja richtig groß geworden! Fast hätte ich dich nicht erkannt." Sein lautes Lachen hallte über den Bahnsteig und zog die Blicke einiger Passanten auf sich. Mia lächelte schelmisch und reichte ihm mit einem frechen Grinsen ihre beiden Koffer. „Hier, nimm die Koffer", sagte sie, als wäre es das Selbstverständlichste der Welt. Onkel Karl nahm die Koffer widerstandslos, schüttelte aber den Kopf und lachte laut auf. „Ach, du bist immer noch genauso frech wie früher! Und jetzt soll ich also dein Gepäck schleppen?" Mia zuckte mit den Schultern und grinste verschmitzt. „Na klar, Onkel Karl. Ich bin eine Lady, und eine Lady lässt sich nun mal nicht mit schweren Dingen belasten, oder?" Ihre Augen blitzten herausfordernd, und sie konnte das Glitzern in den Augen ihres Onkels sehen, als er wieder lachte. „Du hast ja eine Logik, Mia", sagte er schmunzelnd, während er die Koffer mühelos schulterte. Als sie schließlich am Auto ankamen und Onkel Karl die Koffer in den Kofferraum wuchtete, spürte Mia, dass dies nicht nur eine Reise zu ihrem Onkel war. Es war der Beginn eines Abenteuers – und sie wusste, dass sie bereit war, jedes Hindernis, das ihr in den Weg kam, mit ihrem Verstand und einem Lächeln zu meistern.
Als Mia und Onkel Karl endlich das Haus erreichten, das in einer ruhigen Wohngegend am Stadtrand lag, staunte Mia sofort über das malerische Gebäude. Es war ein charmantes, aus Holz gebautes Haus, das sich perfekt in die grüne Umgebung einfügte. Die großen Fenster und die Veranda, die das Haus umrahmten, verliehen ihm eine gemütliche, fast einladende Ausstrahlung. „Wow, Onkel Karl, dein Haus ist echt toll!", rief Mia begeistert und drehte sich einmal um ihre eigene Achse, um alles aufzusaugen. „Ich liebe Holzhäuser, die haben so viel Charme!" Onkel Karl strahlte und klopfte ihr freundschaftlich auf die Schulter. „Danke, Mia. Aber komm erst mal rein! Ich möchte dir Ida vorstellen. Sie ist meine Haushälterin und wird sich um dich kümmern, wenn ich nicht da bin. Ich arbeite oft bis spät, aber mit Ida bist du in den besten Händen." Neugierig folgte Mia ihrem Onkel ins Haus. Kaum hatten sie die Schwelle überschritten, spürte Mia die warme Atmosphäre, die jeden Raum durchflutete. Die Holzböden knarrten sanft unter ihren Schritten, und der Duft von frischem Kaffee hing in der Luft. In der Küche wartete bereits Ida, eine freundliche Frau mittleren Alters mit einem offenen Lächeln und einer Schürze umgebunden. „Hallo, Mia! Schön, dich endlich kennenzulernen", sagte Ida herzlich und nahm Mia sanft in den Arm, als hätten sie sich schon jahrelang gekannt. „Ich habe schon viel von dir gehört. Du musst sicher hungrig sein nach dieser langen Reise!" Mia erwiderte das Lächeln und spürte sofort, dass sie hier gut aufgehoben war. „Ja, die Bahnfahrt war wirklich lang. Ich freue mich schon auf das Essen." „Das ist gut, denn wir planen, heute Abend zu grillen. Aber vorher zeige ich dir dein Zimmer, damit du dich einrichten kannst", sagte Ida und führte Mia die Treppe hinauf. Oben angekommen, öffnete Ida die Tür zu einem geräumigen Zimmer, das Mia sofort begeisterte. Es war hell und liebevoll eingerichtet, mit einem weichen Teppich, einer gemütlichen Sitzecke und einem großen Bett, das unter einem Dachfenster stand. Die Wände waren in warmen Pastelltönen gestrichen, und es gab sogar ein Bücherregal. Das Beste aber war der eigene Balkon, von dem aus Mia einen herrlichen Blick über den Garten und die umliegende Landschaft hatte. „Wow!", entfuhr es Mia. „Das ist ja fantastisch! So viel Platz und sogar ein Balkon!" Sie trat ans Fenster und öffnete es, um die frische Luft hereinzulassen. Ein sanfter Wind strich über ihr Gesicht, und sie spürte die angenehme Ruhe dieses Ortes. Ida lächelte zufrieden und zwinkerte ihr zu. „Ich wusste, dass es dir gefallen würde. Mach es dir ruhig erst mal gemütlich. Lass dir Zeit beim Auspacken, und wenn du fertig bist, komm einfach raus auf die Terrasse. Dein Onkel und ich bereiten das Essen vor, und ich bin mir sicher, dass du nach dieser langen Fahrt hungrig bist." Mia nickte dankbar und sagte mit einem breiten Lächeln: „Oh ja, das bin ich! Ich freue mich schon auf das Grillen. Vielen Dank, Ida!" Nachdem Ida das Zimmer verlassen hatte, ließ Mia sich auf das Bett fallen und atmete tief ein. Sie war nicht nur froh, angekommen zu sein, sondern auch überglücklich über den Empfang und die gemütliche Atmosphäre. Das Zimmer fühlte sich bereits jetzt wie ein kleines, persönliches Paradies an. Mia wusste, dass sie hier die nächsten Wochen voller Abenteuer, aber auch Ruhe und Inspiration verbringen würde. Sie stand auf, öffnete ihre Koffer und begann, ihre Kleidung und Bücher auszupacken. Mit einem systematischen Ansatz – so wie sie es immer machte – sortierte sie ihre Sachen in den Schrank und in das Regal. Alles musste seinen festen Platz haben. Während sie ihre Bücher sorgfältig ins Regal stellte, blieb ihr Blick an einem ihrer Lieblingswerke hängen: einem dicken Buch voller mathematischer Rätsel und kniffliger Probleme. Ein Lächeln huschte über ihr Gesicht. Vielleicht würde sie später, nach dem Grillen, wieder an einigen der Rätsel arbeiten. Es gab nichts, was sie mehr liebte, als ihren Verstand herauszufordern. Nachdem sie ihre Sachen ordentlich verstaut hatte, zog sie sich um und trat auf den Balkon. Die Sonne war dabei, unterzugehen, und die letzten Strahlen tauchten den Garten in ein warmes Licht. Mia lehnte sich über das Geländer und genoss den Moment der Ruhe. Alles wirkte so friedlich, doch in ihrem Kopf ratterten bereits wieder die Gedanken. Sie überlegte, wie sie die kommenden Tage gestalten könnte – vielleicht würde sie Onkel Karl bei seinen Projekten helfen oder die Gegend erkunden. Mit einem zufriedenen Seufzen drehte sie sich schließlich um und machte sich auf den Weg zur Terrasse, wo sie schon den Duft von gegrilltem Fleisch und Gemüse in der Luft wahrnahm.
Der Abend versprach, ein kleines Fest zu werden. Das Wetter war perfekt – laue Luft und ein klarer Himmel, unter dem die letzten Sonnenstrahlen die Bäume in goldenes Licht tauchten. Der Grill glühte leise, während der Duft von gegrilltem Fleisch und Gemüse in der Luft lag. Onkel Karl und Mia saßen auf der Terrasse, plauderten und lachten, während die Zeit wie im Flug verging. Es war lange her, dass sie sich so entspannt unterhalten hatten, und beide genossen die seltene Gelegenheit, ihre Geschichten auszutauschen. Als die Sonne endgültig hinter dem Horizont verschwand und die Sterne langsam zum Vorschein kamen. Die Dunkelheit legte sich wie eine Decke über den Garten, und das leise Zirpen der Grillen begleitete ihre Gespräche. Es war einer dieser Abende, an denen alles harmonierte und man sich wünschte, die Zeit möge stillstehen. Mit einem breiten Grinsen schlug Onkel Karl plötzlich einen Plan für den nächsten Tag vor. „Morgen, Mia", begann er, während er einen letzten Bissen nahm, „machen wir eine Radtour. Ich zeige dir das Internat und ein paar richtig coole Ecken in der Stadt. Du wirst es lieben!" Mias Lächeln gefror für einen Moment, und sie sah ihn ungläubig an. „Radtour? Hier? Auf diesen Hügeln?" Ihre Augen wurden groß, als hätte Onkel Karl gerade vorgeschlagen, den Mount Everest zu besteigen. „Oh nein, das überlebe ich niemals!" Ein Hauch von Panik durchzog ihre Stimme. Onkel Karl brach in schallendes Gelächter aus und schüttelte amüsiert den Kopf. „Ach, Mia, mach dir doch keine Sorgen. So schlimm ist es nicht. Du bist doch sportlich, das schaffst du mit links." „Sportlich?" Mia hob eine Augenbraue und lachte ironisch. „Mein Verstand mag sportlich sein, aber meine Beine sind mehr auf kurze Distanzen eingestellt, wenn du verstehst, was ich meine." Onkel Karl grinste breit. „Keine Sorge, ich werde es nicht übertreiben. Wir nehmen es locker. Und die Aussicht von den Hügeln ist es absolut wert, das verspreche ich dir." Mia seufzte tief und überlegte einen Moment. Ihr scharfer Verstand suchte nach einer Möglichkeit, dieser Herausforderung zu entgehen, doch sie wusste, dass Onkel Karl sich nicht so leicht umstimmen ließ. Sie zog eine Grimasse und meinte schließlich halb ernst, halb scherzend: „Vielleicht könnte ich die Physik der Steigung berechnen und so den perfekten, mühelosesten Weg finden... Aber bis ich das herausgefunden habe, bin ich vermutlich schon den Hügel heruntergekullert." Onkel Karl schüttelte lachend den Kopf. „So schlau du auch bist, Mia, gegen diese Hügel kommst du nicht allein mit Theorie an. Aber ich bin mir sicher, dass du einen Weg findest, mich morgen wieder zu überraschen." Mia schnaubte leise, doch ihr Lächeln verriet, dass sie bereits einen neuen Plan schmiedete. Schließlich nickte sie langsam. „Na gut, Onkel Karl. Aber erwarte nicht, dass ich dabei schweigend leide." „Ich erwarte nichts weniger als deine gewohnt scharfsinnigen Kommentare, Mia", erwiderte er mit einem Augenzwinkern. „Und jetzt ab ins Bett. Es ist spät, und du brauchst deine Energie für morgen." Mia rollte mit den Augen, doch insgeheim wusste sie, dass Onkel Karl recht hatte. Die Vorstellung, morgen die Hügel zu erklimmen, erschien ihr immer noch wie eine große Herausforderung, aber ein Teil von ihr liebte genau das – die Chance, sich etwas Neuem zu stellen und dabei zu beweisen, dass sie nicht nur mit dem Kopf, sondern auch mit dem Körper siegen konnte. Nachdem sie sich bettfertig gemacht und sich in ihr gemütliches Bett gekuschelt hatte, versuchte sie, ihre Gedanken zur Ruhe zu bringen. Der morgige Tag lag wie eine kleine Prüfung vor ihr, aber je mehr sie darüber nachdachte, desto mehr begann sie sich darauf zu freuen. Vielleicht war die Radtour ja gar nicht so furchterregend, wie sie dachte. Und wenn doch – sie war Mia, und sie war immer gut vorbereitet.
Der nächste Morgen brach in strahlendem Licht an. Die Sonne schien durch die Vorhänge und weckte Mia sanft aus ihren Träumen. Sie streckte sich genüsslich und lächelte in sich hinein, während sie an den Tag dachte, der vor ihr lag. Heute war die Radtour, vor der sie sich am Vorabend noch gefürchtet hatte. Doch nach einer erholsamen Nacht und einem klaren Kopf fühlte sie sich bereit, die Herausforderung anzunehmen. Als sie in die Küche kam, roch es bereits verführerisch nach frischem Kaffee und warmen Brötchen. Am Tisch saßen Onkel Karl und Ida, die gerade das Frühstück servierte. „Guten Morgen, Mia!", begrüßte Onkel Karl sie strahlend. „Gut geschlafen?" „Wie ein Stein", antwortete Mia mit einem verschmitzten Lächeln und setzte sich. „Ich bin bereit für alles, was heute auf mich zukommt." „Das will ich doch hoffen!", sagte Onkel Karl und schob ihr ein prall gefülltes Glas Orangensaft hinüber. „Du wirst deine Energie brauchen." Nach einem reichlichen Frühstück, bei dem Mia geschickt das Gespräch in Richtung Wissenschaft und Rätsel lenkte, sodass sie die bevorstehende körperliche Anstrengung ein wenig verdrängen konnte, stand Onkel Karl schließlich auf und reichte ihr einen Rucksack. „Hier ist dein Proviant", verkündete er mit einem breiten Grinsen. „Ida hat uns ein Lunchpaket gepackt, damit wir unterwegs nicht verhungern." Mia nahm den Rucksack entgegen und spähte hinein. „Perfekt. Wir sind also versorgt", sagte sie mit einem schelmischen Grinsen. „Falls die Fahrt zu anstrengend wird, kann ich uns wenigstens mit mathematischen Rätseln bei Laune halten." Onkel Karl lachte laut auf. „Du und deine Rätsel. Aber ich sage dir eins: Kein Zahlenspiel wird uns die Hügel abnehmen. Die müssen wir ganz klassisch mit dem Fahrrad bewältigen." Mia nickte entschlossen. „Gut, dann zeigen wir diesen Hügeln, was wir können." Kurz darauf standen sie in der Garage, wo zwei Fahrräder auf sie warteten. Mia prüfte ihr Fahrrad sorgfältig, bevor sie aufstieg. „Alles klar", murmelte sie mehr zu sich selbst als zu Onkel Karl, während sie mit einem kritischen Blick die Kette, die Reifen und das Bremssystem kontrollierte. „Ich bin bereit." „Also los!", rief Onkel Karl und trat in die Pedale. „Erst mal zum Internat – 1,5 Kilometer, das kriegen wir hin!" Mia folgte ihm mit einem gewissen Unbehagen. Die ersten Meter verliefen angenehm, doch bald begann die Strecke, wie erwartet, bergauf zu führen. Während Onkel Karl gleichmäßig voran radelte, konzentrierte sich Mia auf ihre Atmung und ihre Technik. Sie wusste, dass es nicht nur auf Kraft ankam, sondern auf kluges Timing und einen gleichmäßigen Rhythmus. „Wie läuft's da hinten?", rief Onkel Karl über seine Schulter. Mia schnaufte, ließ sich jedoch nicht entmutigen. „Ich berechne gerade den exakten Neigungswinkel dieses Hügels", rief sie zurück und grinste. „Vielleicht finde ich ja eine Abkürzung, wenn ich die Physik der Steigung richtig anwende." „Da bin ich gespannt!", antwortete Onkel Karl lachend, aber er sah auch, dass Mia sich wacker schlug. Sie ließ sich nicht unterkriegen – typisch Mia. Selbst bei körperlichen Herausforderungen blieb ihr analytischer Verstand stets aktiv. Nach einer kurzen, aber fordernden Radtour von etwa zehn Minuten standen sie schließlich vor dem Internat. Mia betrachtete das alte Gebäude, das etwas Märchenhaftes an sich hatte. Es wirkte wie ein kleines Schloss, das perfekt ins Stadtbild passte. Türme und Erker ragten stolz in die Höhe, und die Fassade war von dichtem Efeu umrankt. Es schien, als wäre hier die Zeit stehengeblieben. „Willkommen in deinem neuen Zuhause", sagte Onkel Karl, während er Mias nachdenklichen Blick beobachtete. Mia nickte langsam, ihr scharfer Verstand arbeitete bereits daran, die vielen Möglichkeiten dieses Ortes zu erfassen. „Es sieht wirklich beeindruckend aus", murmelte sie. „Fast, als wäre es aus einem alten Roman entsprungen." Onkel Karl führte sie daraufhin durch die Stadt und zeigte ihr einige der schönsten Ecken. Mia beobachtete alles aufmerksam und kommentierte mit einem feinen Gespür für Details. „Die Architektur hier ist faszinierend", meinte sie, während sie eine besonders gut erhaltene Brücke betrachtete. „Man kann deutlich die Einflüsse der Renaissance erkennen." Onkel Karl schmunzelte. „Du machst es mir schwer, dich zu beeindrucken, Mia." Sie lachte. „Nun ja, der Bär tanzt hier ja nicht gerade", scherzte sie. „Aber ich muss zugeben, es hat Charme." „Du sollst hier ja auch lernen und keine Partys veranstalten, meine Liebe", entgegnete Onkel Karl augenzwinkernd. Am späten Nachmittag kehrten sie schließlich nach Hause zurück, beide ein wenig erschöpft, aber zufrieden. Mia hatte das Gefühl, die Stadt besser kennengelernt zu haben, und konnte sich langsam vorstellen, wie das Leben hier aussehen würde. Am Abend, nach einem gemütlichen Essen, verabschiedeten sie sich für die Nacht. „Nun, Mia", sagte Onkel Karl ernst, aber liebevoll, „morgen beginnt ein neues Kapitel für dich. Dein erster Tag im Internat. Aber ich bin mir sicher, dass du es großartig meistern wirst." Mia lächelte schwach, doch in ihrem Inneren spürte sie die Aufregung. Sie wusste, dass der nächste Tag eine Herausforderung darstellen würde – nicht nur wegen des neuen Umfelds, sondern auch wegen der Menschen, die sie kennenlernen würde. Aber sie war bereit. Ihr Verstand war scharf, ihre Neugier ungebremst, und sie hatte bereits einen Plan, wie sie sich schnell einleben könnte. Als sie schließlich im Bett lag, ließ Mia die Ereignisse des Tages Revue passieren. Sie dachte an die Stadt, die alten Gebäude und die freundlichen Menschen. Und vor allem dachte sie daran, wie sie die kommenden Tage nutzen könnte, um ihre intellektuellen Fähigkeiten sowie ihre sozialen Talente unter Beweis zu stellen. Morgen, das wusste sie, würde ein neuer Anfang sein.
Fortsetzung folgt