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Mama hatte den Wunsch, dass wir bereits 45 Minuten vor Beginn der Beisetzung auf dem Friedhof in der Nachbargemeinde waren – der Gemeinde, aus der auch Mama ursprünglich stammt (nicht der Friedhof selbst).
Mama, Vater, mein Bruder und ich begrüßten sämtliche Trauernde, die genauso wie wir „Mamas Cousine G." gerne mochten. Auf dem Friedhof tat dies ebenso ein Ehepaar, in einem ähnlichen Alter wie Mama und Papa, sehr gute Freunde von Mamas Cousine.
Außerdem war Mamas Schwester dabei, die vor knapp eineinhalb Jahren unerwartet und heimtückisch ihren Ehemann durch eine Krankheit verlor.
Bereits eine halbe Stunde vor der Predigt des Pfarrers über den „Psalm 23" saßen meine Familie und ich in der Trauerhalle.
Die Zeit nutzte ich, um Menschen zu beobachten, die nacheinander für einige Sekunden am hellbraunen Holzsarg verweilten, bevor sie Mama und den anderen ihr Beileid aussprachen.
Ich nahm viele neutrale Mienen wahr. Einige weinten, viele schnieften aufrichtig.
Besonders fiel mir eine ältere Frau mit halblangen grauen Haaren und einer getönten Brille auf. Sie hatte ein fröhliches Lächeln auf den Lippen, dass jedoch nichts Boshaftes hatte – es war voller Mitgefühl und Freundschaft in meinen Augen. Es wirkte wie ein „Du hast es geschafft, wir werden dich vermissen. Hörst du? Lass es dir gutgehen, wo immer du auch gerade bist."
Hatte ich je mit einem wohlwollenden Lächeln an einem Sarg gestanden?
Vater nehmen solche Ereignisse mittlerweile viel mehr mit als früher. Das konnte ich nicht nur an den feuchten Augen erkennen. Manchmal will ich einfach nicht einsehen, dass auch Eltern älter werden! – Mama war in den letzten acht Tagen verständlicherweise ein nervöses und sehr aufgeregtes Nervenbündel.
Ich musste beim Singen improvisieren. Eigentlich hatte ich darauf gezählt, dass Zettel mit den Liedtexten ausgelegt worden wären. Da ich nah an der Wand saß und keine Lust hatte, an den fremden Trauernden nochmals vorbeizuschleichen, um mir ein Gesangsbuch am Eingang der Trauerhalle zu holen, sang ich größtenteils nicht mit. Bei „So nimm denn meine Hände" stimmte ich zumindest die Zeilen an, deren Refrain mir gefiel.
„Mamas Cousine G.", die immer lebte, wie sie wollte, die ein Herz hatte und in vielen Vereinen mitwirkte, hatte den Ablauf der Beerdigung schon vor Jahren festgelegt: Welche Blumen auf dem Sarg, welche Lieder gesungen und welche Gebete gesprochen werden sollten.
Der Pfarrer machte einen guten Job.
Sehr sachlich ließ er „Mamas Cousine G."s Leben Revue passieren. Doch trotz dieser Sachlichkeit war eine aufrichtige Wärme und Herzlichkeit in seinen Worten spürbar.
Im direkten Anschluss wurde der Sarg im Erdreich versenkt. „Erde zu Erde, Asche zu Asche, Staub zu Staub." – Ein kühles, steifes Prozedere. Wie ich bereits gestern in meinem Blog erwähnte, war es für mich eher ein traumatischer Moment als etwas, das der Seele guttut.
Die Beerdigung umfasste etwa 80 bis 90 Trauernde.
Etwa sechzig von ihnen waren später zur Flannerts in ein Lokal in der Nähe eingeladen. Es wurde Kuchen mit Kirsch- oder Aprikosenfüllung oder ganz trockener Kuchen gereicht. Dazu gab es Kaffee – für mich und andere, die nicht zur Kaffeetrinkenden Trauergemeinde gehören, gab es Wasser und Cola.
Es tat gut, mit meinem Bruder und zwei unserer Cousinen an einem Tisch zu sitzen, um über Familie und Pläne zu sprechen. Dabei erinnerten wir uns an die Verstorbene.
Mein Bruder hatte dabei deutlich mehr Redeanteil als Cousinen oder ich.
Die frühere enge Bindung, die wir als Kinder und Jugendliche zueinander hatten – als wir immer Zeit miteinander verbrachten, miteinander spielten, Filme schauten und sonst einiges unternahmen – war (noch) weniger davon übrig, als ich dachte.
Mama und Papa haben den Verlust, den Umständen entsprechend, hervorragend weggesteckt. Sie kümmerten sich um die Anwesenden bei der Flannerts (Leichenschmaus) und taten ihr Möglichstes. Ich bemühe mich erneut, den klischeehaften Begriff „den Umständen entsprechend" zu verwenden, da sie an diesem Tag gesellig waren und viele Anekdoten über die Verstorbene aufnahmen, die ihnen von allen Seiten zugetragen wurden.
Am Abend war ich dankbar für die Trainingseinheit. Sie tat mir gut, auch wenn leider relativ wenige Teilnehmer anwesend waren, einige waren auf Klassenfahrt, andere blieben an diesem Mittwoch verschwunden.
Es war auch gut, mit meinem Vater noch einmal in unserem halb ironischen, halb nüchternen Ton auf den Tag zu schauen – vom Wohnzimmersofa aus, während im TV die Champions-League-Fußballberichterstattung lief. Mit den Augen waren wir voll auf dem Bildschirm, aber unser Kopf und Herz waren meist woanders unterwegs, nur selten beim Fußball.
Seltsam, ich war gerade beim Blogschreiben für ein paar Minuten eingenickt. Irgendetwas oder jemand – wahrscheinlich aus einem Traum – flüsterte mehrmals: „Der will einen Kaffee! Der will einen Kaffee! Der will einen Kaffee!"
Bedauerlicherweise erinnere ich mich nur noch an das schnelle Flüstern und habe in mir keine Bilder mehr aus dem Traum.
Was ich künftig mehr machen möchte – ab sofort, bis ich auch in der „Kiste liege" oder mich einfrieren oder verbrennen lasse – auch angestachelt durch den heutigen Tag: Mich noch mehr in andere Menschen hineinzuversetzen, ehrlicher zu sein (a bisserl was geht alleweil), respektvoller zu sein, den anderen das zuzugestehen, was sie tun – oder machen. Geduldiger und mitfühlender zu sein. Mehr zu lächeln.
Dass mir das alles auf Anhieb gleich nochmals besser gelingt, bezweifle ich, doch ich hoffe, dass ich noch jede Menge Übungszeit auf Erden übrig hab.
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