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Die Tante, die ich nicht besonders gut kannte, bekam, wie sie es sich gewünscht hatte, eine Urnenbeerdigung.
Zu meinem Erstaunen hatte sie dies – und einiges mehr – vor weit über zehn Jahren handschriftlich verfügt. Wir, die gesamte Familie, wissen bis heute nicht, wie es dazu kam. War es nur eine fixe Idee? Oder hatte sie eine ernsthafte Erkrankung, die sie dazu brachte, ihren letzten Willen festzuhalten?
Die Beerdigung fand komplett im Freien statt – für mich eine Premiere.
Die Trauergemeinde setzte sich logischerweise aus Vater, Mama, meinem Bruder und mir zusammen. Außerdem waren die engsten Verwandten meiner Patentante sowie die Familie der Tochter der Verstorbenen anwesend. Dazu gesellten sich der Pfarrer und eine Frau vom Bestattungsinstitut.
Zu meiner Überraschung war diese Frau eine Bekannte, die ich seit mindestens 2009 von der Fastnacht kenne. Sie meinte sogar, wir würden uns noch länger kennen.
Keine Musik. Kein Lied – weder aus einer Box noch aus unseren Kehlen. Auch keine Beileidsbekundungen von Fremden oder Bekannten.
Ich fühlte an diesem Tag so viel mehr, als ich im Vorfeld gedacht hatte.
Dieses Draußen, das Natürliche, das Spüren der Umgebung und die Verbundenheit – durch die Geräuschkulisse – mit dem Leben wirkten tröstlich, während wir Abschied von einem geliebten Familienmitglied nahmen. Sogar die Sonne blinzelte für ein paar Minuten während der Trauerfeier hervor.
In Gedanken führte ich einen Monolog mit meiner Tante. Es war, als würde ich mich noch einmal mit ihr verbinden:
„Wir kannten uns eigentlich gar nicht. Irgendetwas ist schiefgelaufen zwischen uns – vielleicht, was Kommunikation zwischen Menschen, zwischen Verwandten, ausmacht. Findest du nicht auch? Wir haben es einfach nicht hinbekommen, dieses ‚Tante-Neffen-Ding'. Aber eines Tages, wo auch immer wir uns wiedersehen werden, möchte ich glauben, dass wir es besser machen. Dann versuchen wir, einen guten Draht zueinander zu entwickeln, okay?"
Neben dem Wind, der durch die Bäume fuhr und die spärliche Blätterkulisse rhythmisch rascheln ließ, schweiften meine Gedanken immer wieder zu den anderen: meinem Vater mit seinen feuchten Augen, meiner Patentante, deren Tränen unaufhörlich liefen, und der Tochter der Verstorbenen, deren Mimik von Tränen gezeichnet war.
Ihr Schmerz überraschte mich – ich hätte nicht gedacht, dass sie so trauern würde. Mutter und Tochter hatten über Jahrzehnte kein gutes Verhältnis zueinander.
Neben der Tante, die ich kaum kannte, ist auch diese Cousine – die Tochter der Verstorbenen – jemand, der mir fremd ist. Ob sich das ändern wird, wird die Zeit zeigen.
Eine unerwartete Erinnerung kam mir während der Bestattung. Ich muss sechs oder sieben Jahre alt gewesen sein, als wir die Schwester meines Vaters besuchten. Damit auch ihre Tochter.
Ich erinnere mich an eine Kassette mit Hasenwitzen – „Hast du Möhrchen?" oder so ähnlich. Wir hörten sie zusammen, und sie brachte uns alle zum Lachen.
Abgesehen davon sind Erinnerungen an diese Cousine rar. Wir sind uns zwar über die Jahre auf Geburtstagen begegnet, aber eine echte Verbindung gab es nie. Der Rest meiner Familie sieht das anders – meine Mama sagt oft, sie sei damals wie eine Tochter für sie gewesen.
Familie pur: Versammelt um die durchsichtige Urne, die etwa zwei bis drei Kilo Asche enthielt – die Überreste meiner Tante. Die Urne stand friedlich vor dem Grab, während wir in einem weiten Halbkreis um den Pfarrer standen.
Der Pfarrer machte seine Sache gut. Mein Vater war besonders angetan von seiner einfühlsamen Art. Es gab Gebete, Fürbitten und das Vaterunser. Dann den traditionellen Erdwurf: „Erde zu Erde, Asche zu Asche, Staub zu Staub." Abschließend erteilte er uns den Segen und entließ uns in den Freitag.
Die Beisetzung dauerte genau 16 Minuten.
Danach pilgerten wir als Familie zum Grab der Großeltern. Dort standen wir andächtig zusammen, jeder wohl in Gedanken bei den Großeltern und der Tante.
In der Zwischenzeit richteten der Gemeindearbeiter und die Frau vom Bestattungsinstitut das Urnengrab her.
Nun ziert ein schlichtes, aber auffallend schönes braunes Holzkreuz das Grab. Es wirkt würdevoll und einladend als Gedenkstätte. Vor allem meinem Vater und meiner Patentante war dieser Eindruck wichtig, wie ich in ihren Blicken erkennen konnte.
Eine Beerdigung ist ein Mix aus weltlicher Zeremonie und himmlischer Leichtigkeit. Sie regt zum Hoffen und Glauben an.
Nun, wo auch immer sie jetzt ist, wird es meiner Tante besser gehen.
Für uns als Familie war das ein wichtiges Abschiedsritual.
Für jeden der Anwesenden aus unterschiedlichen Gründen.
Eine Möglichkeit, seine Liebe, Wünsche und Wertschätzung auszudrücken und vielleicht auch in Gedanken seinen Frieden mit der Verstorbenen zu finden.
Ein erster Schritt von der tiefen Trauer hin zu Dankbarkeit und dem ewigen Vermissen.
Das Abschiednehmen gestaltet sich bei jedem anders. Die einen vergießen Tränen, die anderen bleiben nach außen hin ungerührt und weinen innerlich. Man könnte nun eine Debatte darüber lostreten, ob man diese Zeremonie nun wirklich braucht, da wir eigentlich über den Zweck von Totenkulten und Totenrituale hinweg sein sollten, aber vielleicht brauchen es die Angehörigen für sich? Oder verkommt unsere Welt zur absoluten Empathielosigkeit, hin zur industriellen Entsorgung sterblicher Überreste, wie es in manch einer Dystopie geschildert wird? Man könnte... aber das machen wir hier nicht. Gedenkt den Menschen, die nun nur noch in den Herzen existieren, bis auch diese aufhören zu schlagen.
Auf Beerdigungen versuche ich mich immer zusammenzureißen. Ich will nicht, dass mich jemand weinen sieht. Derweil ist Weinen so wichtig wie das Atmen. Meistens überkommt es mich dann doch. Jemandem die letzte Ehre erweisen ist wichtig. Denn jeder Mensch ist ein einzigartiges Zahnrädchen im Gefüge von Zeit und Raum. Wir sind mehr als nur Maschinen. Ich denke, es gibt in uns einen Teil, der unsterblich ist. Die Toten sind nicht weiter weg als eine Tür, dessen Schlüssel gerade nicht auffindbar ist.
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