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Die Geschichte einer Geistererscheinung und ihrer Erlösung

4 Jahre 1 Monat her #520
Die Geschichte einer Geistererscheinung und ihrer Erlösung wurde erstellt von Fizzy Lemon
In dem anmutigen Tälchen, welches das Städtchen Winnenden und das Pfarrdorf Schwaikheim im Württembergischen verbindet und durch welches der Zipfelbach fließt, liegt unfern eines vorspringenden Birkenwaldes nahe am Fußwege, der sich durchs Tal hinzieht, der sogenannte Teufelsbrunnen. Schon sein Name bezeichnet ihn als einen beim Volke verrufenen Ort, und es ist Tatsache, daß in der Nähe desselben seit vielen Jahren häufig nächtliche Lichterscheinungen beobachtet worden sind, über deren Beschaffenheit man wohl das Urteil dahingestellt lassen dürfte, wenn nicht folgende amtlich beglaubigte Tatsache alle Zweifel über die höhere Natur derselben beseitigte.

Am 17. Januar des Jahrs 1816 wanderte der hiesige (i. J. 1839) verstorbene Bürger und Maurer J.G.F. Leibfriz von Schwaikheim, ein stiller und christlich gesinnter Mann, das Tal hinauf, um in Winnenden einige Einkäufe zu machen. Es war heller Mittag. Ohne nur entfernt an etwas Außerordentliches zu denken, das ihm hier begegnen könnte, ging Leibfriz den Fußpfad hin und war, wie er nachher sagte, in seinen Gedanken meistens mit seinen häuslichen Angelegenheiten beschäftigt, die er jezt vorhatte. Viele Dutzend mal schon hatte er denselben Weg sowohl bei Tag als bei Nacht gemacht, ohne mit Ausnahme der Lichter, die auch er schon in der Nähe des Teufelsbrunnens, jedoch ohne vor denselben sich zu fürchten, aber auch ohne ihnen nahe zu treten, beobachtet hatte, etwas Außerordentliches erfahren zu haben.
Diesmal sollte es anders sein. Als er am Teufelsbrunnen gerade vorübergehen wollte, sah er auf dem Wege, etwa zehn Schritte vor sich, plötzlich eine nebelhafte, jedoch helle Gestalt, welche anfangs einer Dunstsäule glich, allmählich aber menschliche Form erhielt. Langsam schwebte sie auf ihn zu und nun unterschied er deutlich ein faltenreiches, langes Gewand, den obern Teil des Kopfes verhüllt, und er konnte nicht mehr zweifeln, daß es eine Frauengestalt war. Leibfriz war ganz ohne Furcht, und betrachtete daher stille stehend, die wunderbare Erscheinung recht genau, welche, als sie sich ihm bis auf einen Schritt genähert hatte, gleichfalls stille stand und ihn zu beobachten schien. Ihr Angesicht schilderte er als ein sehr zartes, liebliches, übrigens sehr ernstes. Eine Minute mochten beide so stille, sich gegenseitig betrachtend, einander gegenüber gestanden sein, da faßte Leibfriz Mut zu einer Frage, worauf sich folgende Unterredung entspann: „Wer bist du?"
„Ich bin eine unglückliche abgeschiedene Seele."
Während sie diese Worte sagte, trat eine äußerst helle glänzende menschliche Gestalt, einem schönen Kinde von drei bis vier Jahren gleichend, wie aus der größeren Gestalt hervor und blieb ruhig neben dieser stehen. Leibfriz fragte weiter: „Was willst du von mir?"
„Du allein konntest mich so sehen, wie du mich jetzt siehst. Andern Menschen kann und darf ich mich nicht offenbaren. Schon lange habe ich auf dich mit Schmerzen gewartet."
„Was kann ich für dich tun?"
„Du sollst mich erlösen von diesem Ort und von der traurigen Erde."
„Wie kann ich das?"
„Übermorgen früh acht Uhr sollst du an diesen Brunnen kommen und hier recht brünstig und andächtig um meine Erlösung zum Herrn flehen. Ich bitte dich um unsere Heilands willen, tue mir diese Liebe. Dann - ach dann bin ich erlöst!"
Leibfriz versprach ihre Bitte zu gewähren, worauf beide Erscheinungen in der Luft zerrannen.

Nachdem er seine Geschäfte, die ihn bis zum Abend in Winnenden aufhielten, besorgt hatte, kehrte er auf demselben Wege nach Hause zurück. Als er am Teufelsbrunnen vorbei ging, sah er, obgleich er es wünschte, die Gestalten nicht wieder, dagegen zwei Lichter, ein größeres und ein kleineres, welche sich in dieser Gegend lebhaft hin und herbewegten, und vernahm zugleich von dem gedachten Orte herein ganz deutliches Stöhnen und Seufzen, was ihm, zumal, da es bereits Nacht war, grauenhaft vorkam, weshalb er seine Schritte nach Haus möglichst beschleunigte.

Obwohl ihm von verschiedener Seite entschieden abgeraten wurde, entschloß sich Leibfriz, in Begleitung von sechs Freunden sein Wort zu halten.
Am 19. Januar frühe halb acht Uhr machte sich Leibfriz in Begleitung der gedachten Freunde auf den Weg und bald erreichten sie die nächste Umgebung des Teufelsbrunnens, wo Halt gemacht und beratschlagt wurde, ob Leibfriz die kleine Strecke bis zur Einfassung des Brunnens allein oder in Begleitung zurücklegen solle. Zuerst wurde Lezteres beschlossen, und als Leibfriz mit zwei Begleitern an dem Brunnen angekommen war, sah und hörte er gar nichts. Sobald jedoch die Begleiter sich zurückgezogen hatten, sah er, wie jene weibliche Gestalt an der Wurzel eines Weidenbaumes, der über die Quelle hereinhing, langsam aus dem Wasser sich erhob, und auf dessen Fläche zu stehen schien. Zu gleicher Zeit bemerkte er dicht neben sich eine schwarze, tierähnliche, abschreckend häßliche, mit wilden Augen ihn anglotzende Gestalt, vor deren Anblick er so gewaltig erschrak, daß er die Besinnung verlor, und am Rande der Quelle niedersank. Schnell sprangen die Freunde herbei, trugen ihn ins Freie und bald kam er wieder zu sich selbst.
Nach einer Viertelstunde wurde der zweite Versuch gemacht. Leibfriz näherte sich der Quelle allein, sah abermals die Gestalt des „Fräuleins", wie er es nannte, und war im Begriff, auf die Knie zu fallen, und das zugesagte Gebet zu verrichten, als das schwarze Tier abermals wie drohend sich ihm näherte, die Brust ihm beklemmte und zulezt den Atem raubte, so daß er zum zweiten Mal bewußtlos weggetragen werden mußte. „Aller guten Dinge sind drei!"sagten seine Begleiter und trieben ihn zu einem dritten mutigen Versuche an.
Diesmal ließ er sich durch die abschreckende Gestalt und die drohenden Augen des Untiers nicht einschüchtern. Er fiel auf die Knie und betete geraume Zeit andächtig zum Herrn um Erlösung der leidenden Seele, die er während seines Betens öfters seufzen hörte und neben welcher das freundliche Kind die Händchen gar lieblich wie mitbetend gefaltet hatte.
Schon während seines Gebets bemerkte Leibfriz, daß die Gestalt heller wurde, als sie ihm bisher erschienen war. Als er es beendigt hatte, sagte er zu ihr: „Nun habe ich deinen Willen erfüllt im Namen des Herrn. Er sei dir gnädig!"
Kaum hatte er diese Worte gesagt, so erhob sich die Fläche des Wassers mit dem Kinde, beide gleich lichthell glänzend, das Untier senkte sich in die Fluten, und Leibfriz hörte das „Fräulein" mit gen Himmel erhobenen Händen ausrufen: „Nun Seele, schwing dich in die Höh' und sage dieser Welt Ade!"
Nach diesen Worten zerfloß ihre Gestalt in der Luft. Leibfriz verlor abermals die Besinnung, sank zusammen und die Freunde, welche, obgleich in der Nähe stehend, nichts von allem Vorgegangenen gesehen hatten, eilten herbei, ihm Hilfe zu leisten. Es war eine Art Starrkrampf, was ihn befallen hatte. Grausam eröffnete ihm einer der Begleiter die starre Kinnlade mit Verlust von drei gesunden Zähnen vermittelst eines Schlüssels; aber dennoch kam das Bewußtsein nicht völlig zurück. Der halb Ohnmächtige mußte, unter dem Zulauf einer Menge Volks, das die Neugierde zusammengetrieben hatte, nach Hause mehr getragen als geführt werden, wo er erst seine volle Besinnung wieder erhielt und erzählen konnte, was sich am Teufelsbrunnen zugetragen hatte.
Von dieser Zeit an hat kein Wanderer mehr ein Lichtlein amTeufelsbrunnen leuchten sehen.


1840 erschien im „Magikon", Justinus Kerners Zeitschrift für übersinnliche Phänomene, dieser Bericht, gezeichnet mit „W". Sicher handelt es sich um den damaligen Schwaikheimer Pfarrer Heinrich Werner, Autor eines Buches über„Schutzgeister", der damals mit Kerner in Verbindung stand. Am 23. Januar 1840 übergab er Kerner „etwas nicht Uninteressantes aus meiner Gemeinde" zum Abdruck im „Magikon".
Werner brachte das Geschehen mit einem Eintrag im Totenbuch von Schwaikheim zum Mai 1792 zusammen, demzufolge sich die Dienstmagd Katharina Dorothea Sperlin, die wegen ihrer verheimlichten Schwangerschaft entlassen wurde, aus Verzweiflung im Teufelsbrunnen ersäuft habe. Wem das innere Licht über die moralischen Ordnungen eines anderen (jenseitigen) Lebens aufgegangen sei, finde eine „genaue und sehr ernste Übereinstimmung".
Abschließend gibt Werner noch Auszüge aus den amtlichen Akten über den Vorfall, den der Schultheiß am 19. Januar 1816 dem Pfarrer und dieser an das Oberamt Waiblingen meldete. Dieses ließ Leibfriz unverzüglich verhaften. Nachdem er zweimal im Verhör behauptet hatte, ein Fräulein und ein Untier, das wie eine wilde Katze aussah, am Teufelsbrunnen gesehen zu haben und daraufhin jedesmal wieder in den Turm geführt wurde, sagte er im dritten Verhör, er habe gar nichts gesehen. Werner äußert Verständnis dafür, daß Leibfriz in seiner bedrängten Lage endlich sagte, was der Oberamtmann wollte. Er schließt: „Es ist jedoch Jedermann im Ort bekannt, daß er die Wahrheit der Tatsache, wie sie oben erzählt worden ist, im Kreise von Freunden bis an seinen Tod behauptet hat."

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